Drittes Kapitel.
Italienische Bildnerei im 1G
Jahrhundert.
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sovino selbst mit unendliehem Fleiss das grosse Relief der Verkündigung
aus, an welchem er noch im Jahre 1523 arbeitete. Es wird aufs höchste
gepriesen. Weiter schuf er eine nicht minder gerühmte Geburt Christi
mit anbetenden Hirten und singenden Engeln, die er 1528 vollßiete.
Die Anbetung der Könige führte Girolamo Lombardo aus, den Tod Maria
Domevzico Lancia aus Bologna; Tribolo endlich das Wunder von Loreto:
wie das heilige Haus von Engeln durch die Lüfte hinweggetragen wird.
Leider fehlt uns eine genügende Anschauung sowie eine stylistisehe Würdi-
gung dieser jedenfalls sehr bedeutenden Werkeii), in denen wir namentlich
Sansovinds Bedeutung im Heliefstyl erkennen würden. Nach den Berichten
scheint er freilich sich vor dem malerischen Elemente nicht ganz gehütet,
jedoch dasselbe mit Maass und hohem Schönheitssinn verwendet zu haben.
In diese Reihe gehört nun auch das, was von Rafael (1483-1520)
oder nach seinen Entwürfen von Andern an plastischen Werken ausgeführt
werden ist. Eine eigenhändige Arbeit des Meisters scheint die Marmor-
statue des Jonas in der Gapella Chigi in S. M. delPopo1o zu Rom: eine
herrlich bewegte nackte Jünglingsgestalt mit den träumerisch schwer-
müthigen Gesichtszügen eines Antinous. Höchst anschaulich ist der
Moment versinnlicht, wie er aus dem geöffneten Rachen des Ungethüms
wieder hervorschreitet ans Licht des Tages. Der Elias ebendort ist nach
dem Entwurfe Rafaels von dem Florentiner Lorenzetto (l 490-1541) in
minder geistvoller Behandltmg ausgeführt. Dasselbe Verhältniss scheint
an der Madonna del Sasso obzuwalten, welche auf dem Altar im Pantheon
über dem Grabe Rafaels steht. Ein andres von diesem Künstler nach
einem Entwurf Rafaels ausgeführtes Werk ist jener anmuthige von einem
Delphin getragene Knabe, von dessen jetzt in England befindlichem Ori-
ginal das Museum zu Dresden einen Gipsabguss besitzt. Lorenzettds eigne
Idee ist dagegen die überlebensgrosse Marmorstatue des Petrus am Ein-
gang der Engelsbrücke zu Rom.
Ehe wir zur Betrachtung Michelangelds übergehen, haben wir eine
Umschau unter den Künstlern zu halten, welche, im Ganzen noch unbe-
rührt vom Einfluss des grossen Meisters, mehr dem Andrea Sansovino sich
unmittelbar oder doch durch eine verwandte geistige Richtung anschliessen.
Wohl werden auch sie wie alle Gleichzeitigen hie und da gestreift vom Geiste
des mächtigen Florentiners; aber es ist noch der Michelangelo der sixtini-
sehen Decke und etwa der Mediceergraber, dessen Inspirationen wir in dieser
Epoche begegnen. Im Ganzen behält der milde, maassvolle Schönheitssinn
Nachfolger
Sunsovinos.
Ich bedaure sehr, Loreto nie berührt zu haben, und daher über die dortigen
Werke nicht urtheilen zu können. Meines Wissens sind dieselben auch noch nie
abgeformt rderT, so wünschenswerth es wäre.
Lübkmüsch. der Plastik. 41