Drittes Kapitel.
Italienische Bildnerei im 16.
Jahrhundert.
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feinere Luft, die auf den Gipfeln des Idealismus weht, auf die Dauer nicht
zu ertragen vermag und sich bald Wieder in die dickere Atmosphäre der
lürdenniederungen znrücksehnt. Es kommt noch etwas Anderes ins Spiel.
Die Antike war für jene grössten Meister, welche mit allem Ernst ihres
Wesens ihr nachzueifern suchten, wohl ein Jungbrunnen, aus welchem
die Kunst sich neues Leben trinken konnte. Aber da man die antike Auf-
fassung auf christliche Stoffe anwenden musste, kam bald ein Zwiespalt
zu Tage, unter welchem der christliche Inhalt zunächst Schaden litt.
Sobald aber die Form höher geachtet und gepflegt wurde, musste sie hohl
und seelenlos werden, "weil sie sich eben nur auf Kosten des Inhalts so
überheben konnte. Das ist und bleibt dann immer der Anfang des lllanic-
rismus. Verfielen diesem Dämon selbst die grössten Meister, wie hätte er
nicht für allc die kleineren, für die Naehbeter und Nachtreter, verhäng-
nissvoll werden sollen! Vollends drängte aber der Geist der Zeit in die
Allegorie hinein, und damit betrat man eine Bahn, auf welcher die Kunst,
losgelöst von dem Gesammtbewusstsein, abgetrennt von der lebendigen
Wechselwirkung mit dem Volksgeistc, gar bald seclenloscr Nüchternheit
und subjektiver Spitziindigkeit verfallen musste.
Kurze Damm
der Blüthe."
Florentincr Meister.
Zu den Meistern, die zuerst den Uebergang in die freien Formen. des
'16. Jahrhunderts fanden, müssten wir vor Allem Lionardo da "Vinci
zählen, wenn von dem kolossalen Reiterbilde des Franzesco Sforza, das
er in Mailand ausführen sollte, etwas mehr als blos_se Studien und Ent-
würfe in alten Stichen auf uns gekommen uräre. Seehszehn Jahre hatte
er mit den Vorbereitungen und der Vollendung des Modelles zugebracht,
und in so kolossalen Verhältnissen war das Werk angelegt, dass 100,000
Pfund Erz zum Guss erforderlich waren. 'Bei der Hochzeit Kaiser Maxi-
milians mit Bianca Maria Sforza hatte man das Modell als imposante
Dekoration unter einem Triumphbogen aufgestellt. Als aber 1499 die
Franzosen Mailand einnahmen, wurde dasselbe durch die Armbrust-
sehützen, die das Pferd zum Zielpunkt ihrer Sehiessübungen machten,
völlig zerstört. Auf jenen alten Stichen sieht man den Reiter mit einem
Feldherrnstab in der Hand, als ob er sieh eben zum Kampf ansehicke.
Unter dem Pferde liegt ein gefallener Krieger ausgestreckt, der zugleich
als Stütze dient. '
Eine Spur von Lionardds Geist scheint auch seinen Mitschüler bei
Verrocehio Giov. Franc. Ruslici, (e. 1470- e. 1550) beseelt zu haben.
Von edler Geburt, widmete er sich aus Neigung der Kunst und schloss
sich, so lange Lionardo in Florenz lebte, diesem vorzüglich an. lilehrere
onnrdn
Viuci.