Zweites Kapitel.
V01]
Nordische Bildnerei
1550.
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Weit spärlicher noch als in Frankreich ist die Plastik in den Nie-
derlanden durch Denkmäler dieser Epoche vertreten. Zum Theil mag
dies untergeordnete Verhältniss sich daraus erklären, dass hier die Malerei
seit den Eycks die bevorzugte Kunst war und blieb, und dass die Plastik,
seit sie in den Denkmälern von Tournay (S. 425) demRealismus zuerst
Bahn gebrochen, die Führcrschaft ausschliesslich der beweglieheren Schwe-
sterkunst überlassen hatte. Von der Farbenpracht der durch Hubert van
Eyck zur Vollkommenheit entwickelten Oelmalerei scheint man so geblen-
det und berauscht gewesen zu sein, dass der ernstere Formengeist der
Plastik daneben keinen Reiz zu üben vermochte. Selbst wo man Metall
für die Grabmaler anwendet, zieht man vor, die Platten mit eingegrabener
Zeichnung zu schmücken, wie noch jetzt manch erhaltenes edles Denkmal
bezeugt. Mehrere Tafeln dieser Art sieht man in S. Jakob und in der
Kathedrale zu Brügge, und zwar vom Beginn des 15. bis in den Airfang
des 17. Jahrhunderts reichend.
Plastik in
den Nieder-
landen.
G rnbplatte:
in Brügge.
Erst gegen Ausgang des 15.Jahrhunderts ünden wir eine bedeutende
Leistung der Plastik in dem 1495 durch Jan de Baker von Brüssel aus-
geführten Monument der Maria von Burgund, Gemalin Kaiser Maximilians,
in der Liebfrauenkirche zu Brügge. An dem prächtigen, mit Wappen
in Schmelzwerk geschmückten Marmor-Sarkophag sind die kleinen Engel
und die wappenhaltenden Figürchen fein und naiv im Style gleichzeitiger
flandrischer Maler, namentlich eines Memling angebracht. Auf dem Sar-
kophag liegt die vergoldete Erzfigur der schönen Maria, ein Werk von
edler Lebenswahrheit. Später (1558) wurde auf Philipps II. Geheiss das
Denkmal Karls des Kühnen durch den Bildhauer Jongherling aus Ant-
werpen hinzugefügt. In der Anlage jenem früheren verwandt, kommt
doch in den Einzelheiten und im Charakter der Gestalten die italienisi-
rende Richtung in nüchterner Weise zum Vorschein. Dagegen bewährte
noch im Jahre 1544 ein unbekannter trefflicher llleistei- an dem Grabmal
eines Ritters von Oyeghem, das sich in einer ehemaligen Seitenkapelle
von S. Jakob zu Brügge befindet, die einfache Empfindung und das feine
Naturgefühl der heimischen Kunst in den marmornen Gestalten der beiden
Eheleute, besonders aber eines mit liebevoller Innigkeit dargestellten
Töcliterleins.
Ein Prachtbeispiel üppigster Innendekoration ist der herrliche in Holz
geschnitzte Kamin des dortigen Justizpalastes vom Jahre 1529. Die zier-
lichste Renaissance-Ornamentik verbindet sich hier mit figürlichen Dar-
stellungen, mit den tüchtigen fast lebensgrossen Standbildern Karls V.
und seiner Vorfahren, Karls des Kühnen sammt seiner Gemalin, seiner
Tochter Maria und Maximilians, sowie anderer Verwandten. Dazu kommen
Brügge,
Fürsten-
gräber.
rab in S.
Jakob.