Zweites Kapitel.
Nordische Bildnerei von 1450
1550.
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mehr dekorativen Figuren. Die eine von den sitzenden Apostelgestalten
zeigt magere, verzwickte Formen, affektirte Bewegungen und ein süssliehes
Lächeln, welches an Lionardo da Vinci anklingt; die andere, auch nicht
ganz von Manier freie, erscheint doch voller, breiter, kräftiger. Sie können
beide nicht von Jean Juste herrühren. Die kriegerischen Reliefscenen am
Unterbau sind Wenigstens von zierlicher Ausführung. Dagegen wüsste
ich Keinen als den tretflichcn Meister von Tours zu nennen bei den im
Museum des Louvre befindlichen Alabasterstatuen des Louis de Poncher,
Finanzministers Franz I., und seiner Gemalin Roberte Legendre. Sie
müssen vor dem Tode Beider (1520 und 1521) vielleicht bald nach 1505
gearbeitet sein, denn damals liess Poncher die Kapelle in S. Germain
l'Auxerr0is errichten, aus welcher die Statuen stammen. Beide sind aus-
gestreckt liegend in stillem Todesschlaf dargestellt, in edler, grossartiger
Formbehandlung, die Gewänder herrlich entwickelt, die Köpfe von vollen-
deter Feinheit individueller Auffassung, namentlich die schönen Gesichts-
züge der Dame in Wunderbar ergreifender Stille der Todesverklärung.
Beide Werke gehören zu den köstlichsten Schöpfungen der goldenen Zeit.
Ein sehr bedeutender Meister ist sodann Pierre Bontemps, welcher
1552 im Auftrage Heinrichs II. das Grabmal Franz I., seiner Gemalin
Claude und ihrer Kinder in S. Denis arbeitete. In der Gesammtanlage
schliesst es sich dem Denkmal Ludwigs XII. an, überbietet dasselbe jedoch
an Grossartigkeit. Auf der oberen Plattform die knieenden Gestalten des
königlichen Ehepaares und seiner drei Kinder, die wieder zum Edelsten
gehören, was die französische Plastik hervorgebracht. Hier ist Würde,
Einfachheit und Ruhe, grösster Adel in der Auffassung, edler Styl der
breit und doch anspruchslos fliessenden Gewänder, innige Beseelung im
Ausdruck derfein charakterisirten Köpfe.
Um dieselbe Zeit lebte in Lothringen ein Bildhauer Richier, von dem
in der Kirche zu St. Mihiel eine aus dreizehn lebensgrossen Figuren
bestehende Steingruppe der Grablegung Christi noch vorhanden ist x).
Von derselben Hand rührt die mit der Jahrzahl 1523 und dem Monogramm
G. R. bezeichnete Gruppe eines Kalvarienberges in der Kirche zu Hatton-
le-Chatel. Endlich hatte Richier in der Kirche S. Etienne zu Bar-le-
Due das Grabmal des 1544 gefallenen Herzogs Reue von Chalons auszu-
führen. Im Louvre schreibt man ihm ein mit miniaturhafter Zierlichkeit
ausgeführtes Hochrelief zu, welches Daniels Urtheil über Susanna darstellt.
Ueberaus fein ist besonders der Ausdruck der Köpfe, und nur die Bewegung
im Louvre.
S. Denis
Grab Franz I.
R ichier.
Die Notizen über Richier finden sich in der Descript.
du Louvre. (Paris 1855). S. 47.
sculpt.
des
modernes
Lübke
Gesch.
der Plastik.