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Viertes Buch.
Das Ganze ist ein später, recht tüchtiger, aber doch etwas markloser Nach-
klang des 15. Jahrhunderts.
Während in solchen kirchlichen Werken die ältere Auffassung
ziemlich unbeirrt sich behauptet, geht mit den Grabdenkmälern eine
Umwandlung zu Gunsten des neuen italienisirenden Geschmackes vor sich.
Glanz und Macht des Fürstenthumes führen die Renaissance gleichsam
officiell in Frankreich ein, stellen ihr eine Reihe von Aufgaben überwie-
gend weltlicher Art, deren Zweck und Mittelpunkt die Verherrlichung der
vornehmen Stande ausmacht, und verlangen dafür die möglichst elegante
und prunkvolle Lösung. In Gesammtanlage, Auffassung, Formbeliaiulluiig
sehliesst man sich dem von Italien durch eine Anzahl von Künstlern ein-
gedrungenen Style an und sucht sich desselben nach Kräften zu bemäch-
tigen. Daher sind diese französischen Werke, in erster Linie die Grab-
mäler, gewöhnlich reicher, prächtiger als die deutschen; aber es fehlt ihnen
der frischere Lebenshauoh eines in allen Zügen selbständig schaffenden
und vordringendeil Kunstgeistes. Viel früher als in Deutschland fliesst
bei ihnen etwas Aeusserliches, Conventionelles in die Schöpfungen hinein
und geht zu einer Weichen Eleganz über, in welcher man das Wehen der
Hofluft zu erkennen meint. Damit hängt auch die Vorliebe für das Material
des wcissen Marmors zusammen. Bisweilen aber verbinden sich Feinheit
der Naturautfassung und Innigkeit der Empiindung mit einer lauteren und
grossen Formbehandlung zu schönstem Adel.
Im Museum des Louvre, Abtheilung der modernen Sculptur, kann
man an einer Reihe von Denkmälern die Entwicklung der französischen
Bildncrei verfolgen. Die liebenswürdig zarte Marmorbüste einer jungen
Frau (N0. 79 des Katalogs) mit einfachem unschuldigein Ausdruck eröffnet
den Reigen. Dann folgt, ebenfalls noch aus dem 15. Jahrhundert, die
treffliche Marmorstatue des Peter von Evreux Navarra, treu und schlicht
in der Auffassung, Kopf und Hände mit feinem Natursinn durchgeführt.
Der zurückgeschlagenc Waffenrock giebt ein glückliches Motiv des Falten-
Wurfs. Die Statue seiner Gemalin Katharina von Aleneon ist noch
edler, in schlichtem Gewande und maassvoll schönem Style. Beide Bilder
stammen aus der Karthäuserkirche zu Paris. Nicht minder trefflich ist
die aus dem Convent der Cölestiner in das Museum gelangte Marmorstatue
der Herzogin Anna von Burgund (T4432). Bei höchst einfacher Behand-
lung des Gewandes verrath der ausdrucksvolle Kopf ein stilles inneres
Leben und eine ruhige Sammlung des Gemüthes, wie sie solchen Monu-
menten am schönsten entspricht. Das Maass detaillirender Charakteristik
der Formen ist schon etwas grösser, doeh ohne den geistigen Gehalt zu
übertönen. Alle diese Werke gehören wohl erst den letzten Deeennien