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Erstes Buch.
Ein freundlicheres Bild gewähren die grossen BauJlnternehmungen
der Herrsciher, vielleicht die Geschichte der Errichtung (lessellaen Palastes,
welchen diese Werke einst schmückten. Zahlreiche Arbeiter, in Gebärden
und Stellungen voll mannigfaltigtsii Lebens, in mehreren Reihen überein-
ander, sind bemüht, einen riesigen Portalstier auf einem (lurch Rollen
bewegten Schlitten zum Palaste zu transportireii; andre sieht man be-
schäftigt, einen Erdwall als terrassenartigen [lnterbau eines Gebäudes zu
errichten; überall treiben Aufseher zu tleissiger Thittiglzeit an. Wieder
andre helfen mit I-Icbebiiuinen beim Transport der Stiere, oder tragen
Baumaterial den steilen IIügcl hinauf; eine Gruppe kommt mit Stigen,
Aexten und Schaufeln zur Arbeit, eine andre führt Bauholz auf zwei-
rädrigen Wagen heran. Mit alledem begnügt- sich der Künstler noch nicht:
er muss uns auch die Naturumgcsbnng seines Bauplatzes schildern. Wir
sehen den dligris nicht bloss belebt von Fischen, Schlangen und Krabben,
denen ein Fischer mit der Angel nachstellt, sondern es deuten auch Flössc
und Boote auf lebhaften Flnssverkehr hin. Im Schilfdiekicht des Ufers
birgt sich ein Ilirsch mit seiner Kuh, und unfern (laron gewahrt man eine
Bache mit ihren Jungen, deren eins an ihr saugt.
Herrscht hier überall frische Fülle des Lebens, so haben doch die
Jagddarstellungen auch jetzt den höchsten Wcrth. Wenn in den ältesten
Werken von Nimrnd nur einige Ilauptmotive sich unablässig wiederholen,
so waltet hier eine unerschöpfliche. ltlannigfzrltiglzeit. Auch dehnt sich das
Jagdrecht nicht bloss auf Löwen und Büffel, sondern auf wilde Pferde,
Gazellen und Hirsche aus. (lrosse Netze werden gestellt, welche die ge-
angsteten Thiere zu durchbrechen suchen. Im Hinterhalt lauert der König
mit seinem Köcherträiger und sendet rastlos einen Izlzigel von Pfeilen auf
die Thiere. Die Künstler liehen auch hier eine Menge von Einzelsccnran
nebeneinander zu (lrangen, und der Raum wird von ihnen ohne Rücksicht
auf perspeetivische Behandlung oder architektonische Ordnung ganz will-
kürlich verwendet. WVahrend bei den bisher betrachteten Darstellungen
auf die landschaftliche Ausmalung der Sccncrie grosse Sorgfalt verwendet
wurde, erscheint es bei den J agdseenen dem Bildhauer von Kujjundsehik
zweckmassiger, gar keine Andeutung des wirklichen Bodens zu geben,
sondern die Gruppen der Thiere nach Belieben über- und. nebeneinander
auf der Fläche auszubreiten. Besonders anmuthig und reizend sind die
Gazellen geschildert: halb schüchtern, halb zutraulich schreiten sie vor-
wärts, zwei Junge folgen treuherzig der Fährte der Mutter; da durch-
schwirren Pfeile die Luft, getroffen stürzt eins der 'I'hicre rücklings zu
Boden, der Führer der Scha-ar blickt sich stutzcnd um, die. übrigen wen-
den sich zu jäher Flucht.