Zweites Kapitel.
Nordischc Bildnerei von 1450-
1550.
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Endlich besitzt die Kirche zu An n ab er g ein Werk der Steinsculptur
aus dieser Epoche, welches weniger durch besondere Feinheit (lcrAusführung
als durch den beispiellosen Umfang und durch die wahrhaft verschwende-
rische Anwendung der Plastik hervorragt. Die Brüstungen der Emporen,
welche sich rings um die Wände ziehen, sind nämlich mit nicht weniger
als hundert einzelnen Hochreliefs geschmückt, die von 1499-1525 von
einem llleistei- Tlzeoplzilzes Eltrevzfriczl mit zwei Gehülfen ausgeführt wur-
den. Die ersten 22 schildern die verschiedenen Altersstufen des Menschen,
und zwar des männlichen wie des weiblichen Geschlechts mit der im Mit-
telalter beliebten Hinzufügung von symbolischen Thicrgestalten. Die
übrigen Reliefs enthalten die Geschichte des alten und des neuen Testa-
ments, der Maria und der Apostel mit ihren Martyrien. Das Weltgericht
macht den Beschluss. Tüchtig, wenn auch nicht besonders fein durchge-
führt, hin und wieder mit Benutzung Dürcrscher Compositionen, müssen
diese Arbeiten in ihrer früheren Bemalung und Vcrgoldung einen unver-
gleichlich prächtigen Eindruck gemacht haben. Von höherem Kunst-
werth, durch Grossartigkeit der Iihnplindung und Freiheit der Form aus-
gezeichnet, ist an derselben Kirche die sogenannte goldnc Pforte mit
einer Darstellung der Dreifaltigkeit. Sodann die Thür der 1522 beendeten
Sakristei, deren Formen eine geschmackvolle Mischung von Motiven der
Renaissance und der Gothik zeigen, und die in dem Bogenfelil eine ge-
müthliche Reliefscene der h. Anna, Maria und des Christkindes, umgeben
von dienenden Engeln, enthält. Endlich wurde in demselben Jahre der
Hochaltar aufgestellt, welcher in zierlichem Kalksteinrelief auf rotlnnar-
mornem Grunde eine hübsch componirte und tleissig ausgeführte Darstel-
lung des Stammbaums der Maria zeigt. Dieses Werk ist in Augsburg
von einem dortigen Bildhauer und Schnitzer Adolph Bomber gefertigt
wortlen". Ein allerdings vereinzeltes, aber beachtenswerthcs Zeugniss für
den Einfluss der schwäbischen Kunst in diesen Gegenden.
Die
Erzarbeit.
Weniger allgemein, als die beliebte Holzsehnitzerei und die Stein-
senlptur wird in dieser Epoche die Erzarbeit bei den Deutschen gepflegt.
Sieseheint fast nur in Nürnberg zu unlfassender Anwendung gekonnuen
zu sein; (lafür aber erhebt sie sich hier durch die Kraft eines der grössteir
Meister deutscher Kunst zu reinster Vollendung. Es ist Peter V ischcr, der
ehrsame Bürger und Rothgiesser von Nürnberg.
Wir wissen nicht viel von dem ätusseren Leben, noch weniger von
dem Bildungsgnnge dieses ebenbürtigen Zeitgenossen eines Albrecht
Dürer. Sein Vater war jener Hermann Viseher, der 1457 das Taufbecken
Petr-r
Yischvr.