Drittes Kapitol.
Das mittlere Asien.
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strengen zu einem freieren Styl bezeichnen, so ist letzterer im Palaste von
Kujj u ndsehik völlig zur Herrschaft gelangt. Zwar bleibt auch hier der
Umfang des Stotfgebietes, der Inhalt und die geistige Bedeutung desselben
unverändert. Die assyrischen Künstler müssen sich darauf beschränken,
wie ihre Vorfahren vor Jahrhunderten schon gethzui, Leben und Thaten
ihrer Fürsten zu verherrlicheii. Aber während die Ideen sieh im alten
engen Kreise begrenzen, hat die Beobachtung der Natur an Schärfe, Uni-
fang und Feinheit, die Darstelhuig an Fluss, Frische und hlannigtaltig-
keit, die Charakteristik an Fülle individuellen Lebens so bedeutend gc-
wonnen, dass ein Fortschritt sich überall glänzend bekundet. Dabei
hat die Kunst von ihren früheren Vorzügen nichts eingebüsst, als etwa
die düstere gewaltsame Grossartigkeit der bedeutsamsten Hauptgestzilten:
für diese hat sie die geschmeidige, keineswegs sehwäelilielie Anniuth eines
bewegteren Styles, besonders aber in vielfach neuen Anschauungen und
prägnanten lilotiven den vollen lteiehthum einer frei gewordnen Phantasie
eingetauscht. Doch bedarf dies Wort einer Besehriinkung, um Missver-
ständnisse abzuwenden. Alle diese gerühmten Vorzüge begrenzen sieh
fast aussehliesslich auf das Gebiet der 'l'hierivelt. Die niensehliirhe Gestalt
verharrt in der alten typischen und eonventionellen Befangenheit, und bei
aller Begabiuig ist es den Künstlern der letzten assyrischen Blüthezeit
nicht gelungen, den Bann zu (iurchbrechen, der im Orient die Darstellung
des innerlich bewegten freien Menschenlebens vereitelt. Die Thiere der
spätassyrischen Kunst sind an Adel des Baues, an Kraft und Anmuth der
Bewegmigen, ja selbst an ergreifender Tiefe des Ausdrucks den Menschen
weit überlegen. Man darf aber auch hier nicht vergessen, dass die älte-
sten Werke von Nimrud in ihrer derberen, schärferen, einfacheren Weise
auch für die Thierbeliantllung die Basis der späteren reieheirund feinen
Entwicklung bilden.
Selbst unter den Sculpturen von Kujjundscliik haben wir noch zwei
verschiedene Zeiträume zu unterscheiden. Der frühere wird mit dein Namen
des Sennacherib, dessen Regierung um 720 begonnen haben soll, be-
zeichnet; der spätere, zugleich der Schlnsspunlat assyrischer Selbständig-
keit, bezieht sich auf dessen lünkel, den jüngeren oder Assur-
banipzil, der um 650 lebte. Die Denkmäler von Sennaeherib sind meist
in Alabaster wie die früheren, die seines Enkcls in einem härteren Kalk-
stein ausgeführt. Jene sind bei aller Zierliehkcit etwas hart behandelt
und nicht von der vollendeten Weichheit und Schönheit der letzteren. An
Reiehthum und ltiannigfaltigkcit der Anschauung mögen sie einzmder eben-
bürtig sein. Auch hier ist, wie gesagt, das Leben des Herrschers aus-
sehliesslieh Gegenstand der Darstellung; seine Jagden, seine Kriegszüge,
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