Zweites Kapitel.
Nordische Bildnerei von 1450
1550.
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nicht genug Nachrichten vor, um ein Urtheil schon jetzt möglich zu
machen. Doch scheint es, dass man für die bedeutendsten Arbeiten
fremder Meister bedurfte; wahrscheinlich weil die frühere Zeit diese
Gattung der Plastik dort wenig gepflegt hatte. S0 berief Kaiser
IPriedi-ich III. den Meister Nicolaus Lerch im Jahre 1467 aus Leyden,
um das Grabmal der verstorbenen Kaiserin Eleonore für die Stiftskirche
zu Wiener-Neustadt zu arbeiten. Als dies vollendet war, erhielt
Lereh den Auftrag, das Grabmal des Kaisers für S. Stephan zu Wien
anzufertigen. Da der Kaiser und der Meister seines Grabmals im Jahre
1493 starben, als erst der Deckel des Monumentes fertig war, wurde
Meister Michael Dichter zu „Sr. Majestät Grabmaeher" erwählt. Aber
erst 1513 wurde das grossartige Werk zu Ende geführt. In Pracht der
Anlage und Reichthum der Ausschmückung gehört dies Denkmal zu den
bedeutendsten der Zeit; aber der künstlerische Werth der plastischen
Arbeiten entspricht keineswegs dem Aufwand an Mitteln. Ganz aus
röthlichem Marmor errichtet, besteht es aus einem breiten gelanderartig
durchbrochenem Unterbau, über welchem sich der Sarkophag mit seinem
Deckel erhebt, der, von einem stolzen Ehrenkranz von Wappen umgeben,
die Gestalt des ausgestreckt daliegenden Kaisers tragt. Die Anordnung
des Ganzen zeugt um so mehr von Einsicht und Originalität, als in
Deutschland den Künstlern nur selten Gelegenheit geboten wurde, gross-
artigere Freimonumente dieser Art auszuführen. Fast mit dem Geiste eines
Italieners hat der Künstler die gothischen Formen sehr maassvoll und
eigentlich nur an untergeordneten Theilen, an der Krönung des oberen
Gesimses und den Baldachinen der am Sarkophag wie am Unterbau
angeordneten Heiligenstatuetten zugelassen. Im Uebrigen war es seine
ganz berechtigte Hauptabsicht, möglichst viel Relieffelder zu gewinnen,
was ihm an den Seiten des Sarkophags denn auch gelang. Man sieht
wieder, wie Wenig der gothisehe Styl geeignet war, für wortreiche Ver-
herrlichung von weltlichen Herren den Rahmen herzuleihen. Die Reliefs
des Sarkophags enthalten eine Krönung der Maria und acht "fromme
Werke" des Kaisers, d. h. Stiftungen von Klöstern u. dergl. Dazwischen
sieht man in kleinen baldaehingekrönten Nischen die Statuetten der
Reichsfürsten, die wie ein feierliches Trauergefolge den Sarkophag um-
geben. An den Pfeilern des Unterbaues sind in Nischen die Statuetten
Christi und der Apostel angeordnet, in den Bogenlaibilngen des Geländers
sodann noch viele kleinere Figuren von Bischöfen, Aebten u. dergL, sodass
man im Ganzen über 240 Figuren zählen will. Dieser reiche plastische
Schmuck ist von verschiedenem Werthe, ohne sich irgendwie zu hoher
geistiger Bedeutung oder Schönheit zu erheben.
Friedrichsll]
Grab in
St. Stephan.