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Viertes Buch.
Reutlinger
Taufstein.
o
Arbeit des Meisters betrachten möchte. Die Aussenseite des Tanfbeckens
enthält in zierlicher architektonischer Einfassung die Brustbilder von
sechs Propheten und das des Joseph. Letzterer erscheint in feiner jugend-
licher Gestalt; neben ihm Moses mit bedeutendem, würdevollem Kopfe.
Dann folgt das anrnuthige Bild des David mit der Harfe; auf ihn Jesaias
und, in langem Bart imd Turban, die prächtige Figur des greisen J eremias.
Weiter Jonas, durch den Fisch bezeichnet, portraitartig scharf und von
lebendiger Bewegung. Den Beschluss macht J osua in voller Rüstung der
Zeit, mit Schwert und Federbarret. Die Arbeit ist von ebenso hoher tech-
nischer Vollendung, als künstlerischer Originalität; der Naturalismus des
Meisters Christoph ruht auf eindringenden Studien und einer feinen Auf-
fassung individuellen Lebens.
Mit diesem kleinen Meisterwerk wetteifert an Reiehthum und Schön-
heit der Taufstein der Marienkirche zu Reutlingen vom Jahre 1499,
jenen an Werth und Fülle plastischen Schmuckes noch überbietend. Acht
Strebepfeilerchen gliedern den Unterbau und sind oben mit ebenso vielen
Statuetten von Aposteln geschmückt, die bei etwas kurzen Körperverhalt-
nissen meisterlich charakterisirte Köpfe zeigen. Am Unterbau aber sind
die zwischen den Pfeilern liegenden Nischen mit miniaturartigen Darstel-
lungen der Taufe Christi und der sieben Sakramente ausgefüllt. Die Com-
position der kleinen Seenen ist äusserst klar und lebendig, die Ausfüh-
rung von unübertreßlieher Eleganz. Die Gruppen füllen die Tiefen der
Nischen so, dass bei rein malericher Anordnung die {vorderen Figürehen
frei herausgearbeitet, die übrigen als Reliefs behandelt sind. Das Schön-
heitsgefühl der schwäbischen Schule offenbart sich namentlich in den
anmuthig bewegten Frauengestalten mit reizenden Köpfchen und im
malerischen Zeitkostüm.
Reutlingen,
heiliges
Grab-
Diesem zierlichen Werke gegenüber beweist in derselben Kirche ein
noch bedeutenderes Denkmal derselben Zeit, was die Schule hier in Ar-
beiten grossen Maassstabes vermochte. Es ist das etwa um 1480 entstan-
dene heilige Grab, unter allen ähnlichen Denkmälern Deutschlands wohl
das bedeutendste Schon die reiche architektonische Bekrönung in
ihrer üppigen Phantastik gehört zum Schwungvollsten ihrer Art. So
wenig dies Hinüberwuchern ins vegetative Reich an grossen architek-
tonischen Compositionen zu billigen ist, so berechtigt erscheint es in klei-
neren Werken dieser Art, wie an Kanzeln, Taufsteinen und dergleichen.
Der sprudelnde Uebermuth einer geistreichen Dekoration ist mit wegwer-
fenden Phrasen von "Entartung des Styles" nicht ausreichend bezeichnet;
in den Jahresheften des Würtemb.
Alterth.
rVer.