Zweites Kapitel.
Nordische Bildnerei von 1450
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unruhiger Manier, obwohl sie immer noch maassvoll behandelt sind. Da-
gegen ist die Gewandung an den nördlichen Figuren nur roh angelegt und
hart gebrochen, ohne feinere Belebung.
Ein bedeutendes Werk ist auch das 90 Fuss hohe Sakraments- Sakrnnients-
gehäuse des Münsters. Es wurde 1469 angefangen, und wenn dies nicht gehmm
auch der Zeitpunkt wäre, wo Jörg Syrlin seine Arbeit an den Ohorstühlen
begann, so trüge ich kein Bedenken, auch dieses Werk dem trefflichen
Meister zuzusprechen. Dem Style der Figuren nach hat er darauf ein
grösseres Anrecht, als irgend ein Anderer. Schon die freie und kühne
Entwickhmg der schlanken Pyramide zeugt von hoher Meisterschaft; be-
stimmter weisen aber auf ihn die l-Ieiligenstatuctten, welche den Aufbau
schmücken, namentlich der Sebastian, dessen nackter Körper in Auffas-
sung und Behandlung dem des Ecce homo an Syrlins Dreisitz vom Jahre
1468 entspricht. Sehr fein, lebendig und ausdrucksvoll sind auch die
Statuetten am Geländer, leicht in der Bewegung und klar in der Gewan-
dung. Dagegen scheinen die Figürchen an den oberen Theilen der Pyra-
mide von geringerer Art, wohl nur Gesellenarbeit, dazu verworren im
Faltenwurf und oberflächlich in der ganzen Behandlung. Gewiss hat
aber Syrlin mit den Bildwerken des Taufsteins Nichts zu schaffen, der Teufßlvin-
angeblich von 1470 datirt und mit den Büsten von Propheten und Patri-
archen geschmückt ist. Von derber, lebendiger Charakteristik, stehen sie
in Adel der Auffassung merklich niedriger als Syrlin.
Die schwäbischen Werke zeichnen sich fortan mehr durch Anmuth
und Würde der Köpfe, als durch ein höher entwickeltes Formgefühl aus.
Die Gestalten sind in der Regel sehr nntersetzt und erhalten durch sehr
breite, massige, in harten Falten gebrochene Gewänder noch mehr Fülle.
Ein liebenswürdig gemüthlicher Zug herrscht in den Darstellungen vor,
während die fränkische Schule energischer, dramatischer componirt. Treff-
liche Arbeiten dieser Art finden sich zunäfchst in Urach. Weniger der Fmßh.
originelle, hübsch aufgebaute M arktb runn ende) mit drei Statuetten von
Rittern und der etwas schlotterigen Figur des grossen Christoph; weniger
auch in der Amanduskirche die Kanzel, eine ziemlich geistlose Stein-
metzenarbeit vom Ende des 15. Jahrhunderts mit steifen, trockenen Brust-
bildern der Kirchenvater: wohl aber der prächtige Taufstein, einer der
schönsten in ganz Deutschland, inschriftlich 1518 durch einen Uracher
Meister Christoph angefertigt, der sich mit einem gewissen künstlerischen
Selbstgefühl ausdrücklich "Statouariusu nennt. Sein Monogramm findet
sich auch an dem eben erwähnten Brunnen, den ich daher als eine frühere
t) Vcrgl,
die schöne Aufnahme in den Jahresh.
Alterth.
des Würtemb.
-Ve1'eines.