Zweites Kapitel.
Nordische Bildnerei von 1450
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geführt, oder sie suchen und finden ihren Schmuck aussehliesslieh in den
geometrischen Zierformen eines spielend ausgebildeten lilaasswerkes. So
sah sich also auch die Steinseulptur auf eigene Wege angewiesen und
wurde auf eine selbständige Thätigkeit hingedrängt. Zwar wurde sie bei
kleineren architektonischen Werken, bei Kanzeln, Taufsteinen, Brüstungen,
bei Brunnen u. dergl. reichlich in Anspruch genommen, aber fast nie er-
langte sie in diesen Schöpfungen einer überwiegend auf dekorative Ge-
salnmtwirkilng angelegten Richtung eine freiere Stellung, um ihre Ge-
stalten rein zu entfalten. Daneben blieben ihr fast ausschliesslieh die
Grabdenkmale vorbehalten; allein da diese während der ganzen Epoche
im Norden fast nur in der bescheidenen Form des Grabsteines auftraten,
so konnte auch hierbei die Plastik zu einer volleren Ausbildung nicht ge-
langen. Im besten Falle hatte sie statt der einfachen Reliefgestalt des
Verstorbenen irgend eine kirchliche Darstellung, etwa der throncnden
Maria oder des Erlösers hinzuzufügen. Auch liebte man wohl bei reicheren
Grabmalern eine oder mehrere Scenen aus dem Leben oder dem Leiden
Christi darstellen zu lassen. In allen diesen Fällen war es fast aus-
schlicsslich das Hocl1- oder auch wohl das Flachrelief, auf welches die
Steinplastik angewiesen wurde, und wobei sie in der Regel sogar auch
den architektonischen Rahmen aus eignen Mitteln sich schaffen musste.
Wirkliche Freiscnlptur wird fast nie in Stein verlangt, sodass steinerne
Statuen dieser Epoche zu den scltneren Ausnahmen gehören.
Es ist klar, dass durch diese Verhältnisse auch die Steinsculptur un-
aufhaltsam ins malerische Gebiet hinüber-gedrängt wird, und dass sie so
gut wie die Holzschnitzerei den Gesetzen der tonangebenden Kunst, der
Malerei, anheim fallt. Lediglich dem Verdienste einzelner bedeutender
Meister muss man es zuschreiben, wenn diese trotzdem ihren Werken einen
klareren plastischen Styl aufpragen, der auch darin sich äussert, dass
häufiger als bei den Holzarbeiten von einer durchgängigen Bemalung Ab-
stand genommen wird. "In einseitig scharfer Nachbildung der Wirklich-
keit wetteifert dagegen die Steinplastik mit der Holzscnlptur.
Realistische Steinbildwerke lassen sich in Deutschland erst seit 1470
etwa nachweisen, sodass die Holzschnitzerei die Priorität der Entwicklung
in Anspruch nehmen darf. Dagegen giebt es von 1450 eine Anzahl von
Steinsculpturen, die im harmonischen Gewandwurf und der milderen Cha-
rakteristik noch "den Styl des Mittelalters festhalten und eine vollerc D1u'eh-
bildung der Form damit zu verbinden wissen. Eine Anzahl solcher Werke,
dem Ende der vorigen Epoche angehörig, ist am betreffenden Orte von
mir schon besprochen werden. Hier mögen nur zwei bedeutende Reliefs
in lünnneran zu ltegenslaurg hervorgehoben werden, welche die (trab-
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