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Viertes Buch.
findet. Als sein frühestes Werk gilt ein im dortigen Altcrthuinsvercin
aufbewahrtes Singepult, mit seinem Namen und der Jahreszahl 1458
bezeichnet. Das Pult ruht auf den lebendig ausgeführten Statuetten der
vier Evangelisten. Vom Jahre 1468 datirt der prachtvolle Dreisitz,
welcher am Eingange des Chores im Münster zu Ulm die Rückseite des
Kreuzaltares bildet. An den Seitenwangen sieht man die Halbfiguren der
erythräischen und der samischen Sibylle, die sich auf die Brüstung
lehnen. Der zierlichste Oberbau, von drei schlanken Pyramiden ge-
schlossen, krönt das Ganze. In den Giebelfeldern desselben sind die
Brustbilder von acht Propheten angebracht; oben erscheint in dem mitt-
leren, höheren Baldachin die lebensgrosse Gestalt Christi, ganz nackt,
nur von einem schön gefalteten Schurz und von einem Mantel umgeben,
der lose über die Schultern gelegt ist. Diese eine Figur zeigt die ganze
Kunst des Meisters in dem edlen ausdrucksvollen Kopfe, in dem fast
vollendeten anatomischen Verstandniss des Nackten, das doch maassvoll
zur Geltung gebracht ist, endlich in der würdigen Bewegung, sowie in der
grossartigen Gewandbehandlung. Die Köpfe der Propheten sind von
herrlicher Kraft der Charakteristik, die Sibyllen haben mehr liebliche als
grossartige Köpfe von einem schönen Ovalt). Rechnet man dazu den
klaren und trefflich entwickelten Atlfbau und die herrliche Ornamentik des
Werkes, so begreift man, warum die Ulmer nach dessen Vollendung dem
Meister gleich im folgenden Jahre 1469 den Auftrag gaben, ein neues Chor-
gestühl für das Münster anzufertigen, welches in vier Jahren vollendet
sein sollte.
Die Ulmer
Chorstühle.
Diese Chorstühle, unbedingt an Reichthnm und künstlerischem
Werthe die ersten ihrer Art und von keinem der zahlreichen ähnlichen
Werke auch nur entfernt erreicht, sind in der kurzen Frist bis 1474 aus-
geführt worden H). Schon in dem Arehitektonischen der Anlage bewährt
sich wieder der grosse Künstler. In zwei Reihen erheben sich, nach her-
gebrachter Weise, die Stühle an beiden Seitenwänden des langen Chores.
Ihre Rücklehne steigt 17 Fuss hoch empor und sehliesst dort mit einem
Gesimse, das nur von den Fialen und Gieheln der zierlichen Bekrönrmgen
überragt wird. An den Endpunkten und in der Mitte, wo die Eingänge
sind, steigen höhere, reichere Baldaehine auf, so dass das Ganze eine
wohldurehdaehte Gliederung und Steigerung erhält. Aber den höchsten
Werth verleiht diesem Meisterwerke doch die plastische Ausschmückung,
k) Vorzüglichc Aufnahmen und Darstellungen des Werkes in der Kunst des
Mittel. in Schwaben. Herausgeg. von Egle. Stuttgart 1862.
Abb. in den Verhandl. des Vereins für Alterth. in Ulm und Oberschwaben.