Zweites Kapitel.
Nordische Bildnerei von 1450-
1550.
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Schnitzer" bezeichnet werden; von Michael Wohlgemuth, dem Lehrer
Dürers, wissen wir, dass-er grosse Altarwerke jener gemischten Art in
Akkord übernahm und an der Spitze einer zahlreichen Werkstatt aus-
führte. Endlich haben die Maler und Bildschnitzer Nürnbergs eine ge-
meinsame Zunftordnung, wie aus einer Urkunde vom Jahre 1509 hervor-
geht"). Diese Vereinigung beider Handwerke scheint nur auf den ersten
Blick fremdartig. Führten doch die Maler ihre Bilder auf Holztafeln aus,
die eine besondere Zubereitung erforderten; von da bis zum Schnitzen des
Holzes und dem Auftragen der Farben auf die runden Figuren war nur
ein Schritt. Wenn aber auch gewiss nicht jeder Bildschnitzer zugleich
Maler war, so wurde doch durch den innigen Zusammenhang die Holz-
Schnitzerei nothwendig um so malerischer, als die ganze Kunst der Zeit
nach dieser Seite neigte. Dennoch hatten die Meister bei der Färbung
ihrer Schnitzwerke ein Princip, das noch aus der früheren Epoche datirte
(vergl. S. 336) und keineswegs auf rein naturalistische Wirkung zielte.
Die nackten Theile, namentlich die Köpfe wurden zwar ganz lebensgetreu
und mit feiner Nüancirung gemalt, aber alles Uobrige, besonders die Ge-
wandung, erhielt in den llauptmassen prächtige Vergoldung, die durch
(lamascirte Muster einen gedämpften matten Schimmer annahm und oben-
drein durch Hinzutreten von anderen entschiedenen Farbentönen, vor-
züglich an der Unterseite der Gewänder, gebrochen wurde. Die alten
Meister erreichten dadurch eine Schönheit und Harmonie der Wirkung,
die allen neueren Versuchen bis jetzt vollständig fehlt. Man vergleiche
nur, und es wird sich heraustellen, wie wesentlich der scharf gebrochene
Styl der Gewänder für diesen Farbenetfekt zugespitzt ist.
Wenn wir nun eine Uebersicht der einzelnen Schulen zu geben ver-
suchen, so können selbstverständlich nur die wichtigsten und bezeich-
nendsten Werke genannt werden. Die grosse Masse der Ohorstühle,
Pulte und ähnlicher Arbeiten müssen wir ohnehin übergehen und werden
sie nur da hervorheben, wo sie ein besonderes plastisches Verdienst
haben.
Die Priorität in der Aufnahme und Ausbildung des neuen reali-
stischen Styles darf die schwäbische Schule in Anspruch nehmen. In
Wechselwirkung mit de1' Malerei entfaltet sich die dortige Schnitzkunst
zu einer Auffassung, in welcher die Schärfe der Formbehandlung durch
den Zug eines sanften Schönheitssinnes, durch den Hauch einer gemütli-
vollen Emplindung gemildert wird. Auffallend früh (1431) tritt diese
Richtung bereits an einem Altar in der Kirche zu Tiefenbronn Llnweit
Schwäbische
Arbeiten.
Altäre zu
Tiefenbmnn.