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Buch.
Yiertes
Ungnnst der
äusserenVer-
hiiltnissc.
geschrittenen Gestalt den Rahmen, die zusammenfassende Einheit gegeben
hatte. Während in Italien die Baukunst der Renaissance ein System
schuf, das der zur freien Schönheit entwickelten Plastik nicht blos aus
Mitleid hier und da ein Winkelcheri, eine Hohlkehle, eine schmale Konsole
überliess, sondern ihrer begeisterten Mithülfe zur eigenen Vollendung be-
durfte, fand die Sculptui- in der nordisch-gothischen Baukunst nur ein
Hemmniss ih1'er freieren naturwahren Durehbildung. lhr gerade hätte
aber der mildernde Hauch antiker Idealitat besonders wohlgethan. Denn
fast in jeder Hinsieht war sie gegen die Schönheit ungünstiger gestellt als
die Plastik Italiens. Den italienischen Künstler umgiebt und umgab ein
schönerer Menschenschlag, unter milderem Himmel erwachsen und gehoben
durch jenes Selbstgefühl, das wie eine antike Erbschaft allen romanischen
Nationen eigen ist. Damit verbindet sich bei ihnen jene schwungvollere
Art, die eigne Person in Gebarde, Haltung und Tracht zur Geltung
zu bringen, die uns bei den lrlranzosen so leicht als theatralische Aifek-
tation erscheint, die bei den Italienern aber in einem naiveren Gefühl und
in sehönerem Rhythmus sich äussert. Rechnen wir dazu, dass das
Italien des 15. Jahrhunderts in Feinheit der alusseren Sitte, in einer ein-
facheren Anmuth der Tracht, vor Allem in ausgebildeterem Blick für
das Schöne den übrigen Völkern weit überlegen war, so gewahrt man,
welche Vortheile der italienischen Kunst zu Gute kamen.
Wenn trotzdem sogar dort der Realismus derZeit manchmal in herber
Scharfe die Schranken der antiken Anschauung und des eigenen Schön-
heitsgefühles übersprang, was sollte da das Loos der nordischen Kunst
sein, die von der Antike nicht berührt war und deren Anschauungskreis
im Leben mehr charaktervolle als schöne Gestalten umsehloss? Die
ehrsamen Bürger und die tölpisehen Bauern des 15. Jahrhunderts waren
kein Gegenstand, an denen sich ein reines Schönheitsgefühl hätte nähren
und starken können. In engen Lebenskreisen, spiessbürgerlich beschränkt
aufgewachsen, trug Jeder die Fesseln seines zünftigen Berufes in Tracht,
Bewegung und Gebärden zur Schau. Wenn der Südländer leicht die Un-
terschiede der Stande in dem gleichmassig würdevollen ausseren Auftreten
abstreift, so hafteten dem Nordländer damals noch viel hartnäckiger als
jetzt jene engen Formen an, die nicht den Menschen, wohl aber das Sonder-
wesen des einzelnen Spiessbürgers bezeichnen. Eine unschön bunte, über-
ladene oder eckig zugeschnittene Tracht steigerte dieses Gepräge ins
phantastisch Verzwickte. Dafür konnte die ausdruekswiolle Kraft der
männlichen, die holde Anmuth der weiblichen Köpfe allein nicht vollauf
entschädigen. Dass die alten deutschen Meister das Schöne, welches
sich wirklich ihren Augen bot, unübertretflieh lebenswahr (larzustellen