Erstes Kapitel.
Italienische Bildncrei
im 15.
Jahrhundert.
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platz, an denen das Figürliche wieder von antiken Studien zeugt. Um
dieselbe Zeit arbeitete er am Denkmal des Kardinals Zeno in der Kapelle
desselben in S. Marco; denn obwohl 1505 dem Pietro Lombardo die
(lberleitimg gegeben und Alessandro, der bis dahin mit Antonio Lombardo
daran beschäftigt gewesen War, der Theilnahme enthoben wurde, so
spricht doch der Styl der plastischen Werke meist für Leopardo. J eden-
falls gehören ihm die leicht und frei behandelten Gestalten der dlugenden
am Unterbau, während die liegende Statue des Verstorbenen wohl Antonids
Werk ist. Diesem wird denn auch die Arbeit an dem prachtvollen Bronze-
altar derselben Kapelle beizumessen sein. Auf einem Untersatz mit un-
glaublich dürftigem, ja kindischem, wohl von untergeordneter Gehülfenhand
herrührendem Relief des auferstehenden Christus erheben sich die beiden
grossen charaktervollen Statuen des Petrus und Johannes des Täufer-s,
und zwischen ihnen thront die berühmte Madonna della Scarpa, mütterlich
herzlich, als ob Giovanni Bellini sie entworfen hatte.
Von den Söhnen des Pictro Lombardo erscheint Tullio als der Be-
dentendere. Ausser den Arbeiten, die er gemeinschaftlich mit seinem
Vater und Bruder ausführte, schuf er im J. 1484 die vier knieenden Engel
am Taufbecken von S. Martino. Bald darauf muss das Altarrelief in
S. Gievanni Crisostomo entstanden sein, das in ungewöhnlicher Auf-
fassung die Krönung der Maria darstellt. Christus, mitten zwischen den
Jüngern stehend, setzt der vor ihm kniecnden Mutter die Krone auf. Die
Composition ist etwas leer, aber von anmuthiger lnnigkeit. In der Be-
handlung der Gewänder schliesst sich Tnllio nach dem Vorgange Leo-
pardits sehr der Antike an; nur die Köpfe sind sammt dem Haar etwas
starr und überzierlich durchgeführt. An der Fagade der Seuola di
S. Mareo sielrt man von seiner Hand unten zwei Reliefs aus dem Leben
des Heiligen, maassvoll im Figürlichen, aber mit perspektivisch durchge-
führten architektonischen Griinden. Aus seiner späteren Lebenszeit
(1525) sind endlich zwei Reliefs in der Kapelle des h. Antonius in der
Kirche des Heiligen zu Padua. Auf dem einen sieht man, wie der Heilige
die Leiche eines Geizhalscs öffnet und einen Stein an Stelle des Herzens
findet; auf dem andern wie er einem Jüngling das gebrochene Bein heilt.
S0 gut und lebendig hier die Erzählung ist, so herrscht doch in der Be-
handlung eine herbe, eckige hlanier, die in den früheren Arbeiten sich nur
mit leisen Andeutungen im Keime erkennen lässt. Dagegen geht sein
Bruder Antonio dort im ileunten Relief, wo der Heilige durch ein unmün-
diges Kind die Unschuld der Mutter beweist, einfach und edel in selbst-
ständiger Auffassung der Antike nach und ist auch in der Composition
sehr bedeutend: