Erstes Buch.
Zwar sind nur spärliche, vereinzelte Trümmer ihrer glänzenden Blüthe
übrig geblieben; zwar hat die Hand der Geschichte alle jene Riesen-
städte mit so gänzlicher Zerstörung heimgesucht, dass erst neuerdings
ihre zerrissenen Ueberluleibsel aus den Sehutthtigeln mühsam an's Tages-
licht gezogen werden konnten: dennoch (lürfen wir den Versuch wagen,
aus dem wenigen Erhaltenen einen Schluss auf das Unten-gegangene zu
machen und die zerstreuten Züge zu einem Lebensbilde jener grossartigcn
Kultur zu verbinden.
Ausgrnl
gen.
Verwandt-
schaft mit
Aegyptcn.
Für ein solches Untermelunen haben erst die Ausgrabungen eine
Unterlage geschaffen, die anfangs von dem französischen Consul Botta,
dann nachdrücklicher und umfangreicher von der englischen Regierung
durch Layard in den am oberen Tigris der jetzigen Stadt Mosul ungefähr
gegenüberliegenden Sehutthügclu veranstaltet werden sind. Man glaubt
an diesen Orten die Hauptpaläste Ninive's und andrer damit nahe zu-
sammenhängender Orte aufgedeckt zu haben. In architektonischer Hin-
sieht nur spärliche Resultate bietend, haben diese Naßllgfälbüngtäll für die
Bildnerei der alten Assyrer die umfassendste Ausbeute gewahrt. Der
Charakter jenes Volkes, namentlich das Leben seiner Herrscher im
Frieden und im Kriege tritt uns darin mit grösster Lebendigkeit ent-
gegen. Auf den ersten Blick ist eine durchgreifende Aehnliehkevit mit
dem Wesen der Aegypter auffallend.
Die Aehnliehkeit Beider beruht auf verwandter Oharakteranlage, auf
ähnlichen Lebens- und selbst Landesverhaltnissen, auf dem (laraus ent-
wickelten gleichartigen Gepräige ihres staatlichen Daseins. Beide Völker
sind durch die Beschaffenheit ihrer Flussthälei- schon zeitig zu strenger
Arbeit für Gewinnung einer tüchtigen Bodenkultur angehalten werden;
beiden hat sich aus diesen Grundverhäiltnissen ein praktischer, verstän-
diger Sinn, ein fest geordnetes Staatswesen in der dem Orient eigenen
Form des Despotismus, und ein Interesse an monumentaler Gestaltung
und Fixirung der ätusseren Thatsachen ihres geschichtlichen Daseins er-
geben. In Assyrien finden wir daher wie in Aegypten den ganzen Um-
fang plastischer Darstellungen dem Leben und den Thaten der IIerrscher
gewidmet; ja die Denkmale von Ninive zeigen sogar noch ausschliess-
lieher als die Werke Aegyptens den König als alleinigen Mittelpunkt aller
bildnerischen Schilderung, obwohl wir, bei der sporadischen Beschaffen-
heit unsrer Kenntniss, daraus keine zu weit gehenden Schlüsse ziehen
dürfen. Auch hier ferner werden Götter und göttliche Wesen wie in
Aegypten nicht für sieh allein bedeutend hingestellt, sondern nur in
ihren Beziehungen zum Herrscher aufgefasst. Mit einem Worte: der-
selbe historiseh nüchterne Ohronikengeist scheint die assyrische wie die