Erstes Kapitel.
Italienische Bildnerei im 15.
Jahrhundert.
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Künstler, sowohl Malerals Bildhauer, bis auf Michelangelo, ihre besten
Inspirationen geschöpft. Aber auch die einzelnen im Zeitkostüm auftre-
tenden Gestalten, wie der verlorene Sohn, fügen (lureh edle Naivetät sich
dem Uebrigen harmonisch an. Von der meisterlichen Durehbildung des
Nackten giebt die Schöpfung des ersten Menschenpaares eine Anschauung.
Wie dort die liebliche Gestalt der Eva von dem feierlich
dastehenden Gottvater zugetragen wird (Fig. 155), ist einer der vielen
poetischen Züge, an denen dies edle Werk reich ist. Endlich dürfen auch
die köstlich bewegten und mannichfach charakterisirteii Statuetten und
die Brustbilder in dem das Ganze umgebenden Rahmen nicht übersehen
werden.
Zugleich mit dem Beginn dieses Hauptwerkcs (1424) arbeitete Andere
(ihiberti die tretfliche, nur durch Betreten stark angegriffene Grabplatte Arbeltm
des Lionardo Dati im Mittelschiife von S. M. Novella. Sodann (1427)
lieferte er für das Taufbecken von S. Giovanni in Siena die bereits 1417
bestellten beiden Reliefbilder der Taufe Christi und des Johannes vor
Herodes, namentlich letztere durch dramatische Lebendigkeit ausgezeich-
net. In der Taufe Christi ist besonders der von der Rückseite dargestellte
Johannes schön bewegt, die Haltimg des ausgestreckten Annes, zwar nicht
ganz frei, aber bezeichnend. Sodann folgt 1428 der Rcliquienlaasten des
h- Hyacinthus mit reizenden Engeln, Welche die Krone halten, jetzt in der
Galerie der Uffizien. Später vollendete er (1440) den Reliquienschrein
des h. Zenobius, im Chore des Domes, der an drei Seiten Scenen aus dem
"Leben des Heiligen enthält. Die Composition befolgt wieder auf reichem
landschaftlichen Plan eine malerische Anordnung. Die Schönheit der Ge-
stalten, der freie Schwung der Gewänder, das echt dramatische Leben
verleiht aber auch diesen Werken hohe Bedeutung. Nicht minder vor-
züglich sind an der Rückseite die sechs schwebenden Engel, welche den
Lorbeerkranz halten. Ein Jugendwerk des Meisters ist vielleicht, nach
Burckhardts Vermuthung, das kleine Bronzerelief des thronenden Christus
an dem marmornen Sacramentssehrank in S. M. Nuova: in der Haltung
noch etwas befangen, aber von edlem Ausdruck und grossartigem Wurf
des Gewandes.
Verwandter Richtung gehören die Werke an, welche der grosse Bau- Brunellescc
meister Filzßpo Bruncllcsco (1377-1446) in der Bildnerei geschaffen
hat. Zuerst das Bronzerelief mit der Opferung Isaaks in der Galerie der
Uffizien, in Concurrenz mit Lorenzo Ghiberti entstanden (Fig. 156).
In Anordnung und Durchführung dem Werke seines Nebenbuhlers nahe
Verwandt, zeichnet es sich durch dramatische Energie, kühne Verkürzinigeli
und den scharfen Naturalismus in der nackten Gestalt des Isaak aus.