Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

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Viertes Buch. 
Werken 
der 
Plastik 
etwa 
Mitte des 
seit der 
14. Jahrhunderts auftauchen 
und sich gegen Ende der Epoche mehr und mehr häufen sehen. Die Be- 
wegung war langsam, aber stetig, daher unaufhaltsam. Zunächst konnte 
sie nur zu einer Lockerung und Auflösung des mittelalterlichen plasti- 
schen Styles führen. Man bemerkte ein Schwanken in der Ausdrucks- 
weise, eine Differenz zwischen Wollen und Können. Aber zu einer durch- 
greifenden Umgestaltung kam es noch nicht. Wohl wiesen einzelne 
Künstler, -die ihrer Zeit voransgeeilt waren, auf einen energischen Realis- 
mus hin: aber noch standen sie zu vereinzelt, noch hatte man zu wenig 
darauf gedacht, die Natur gründlich zu erforschen; man War zufrieden, 
sie zu fühlen und von Ungefähr mit dem Meissel ihren Linien nachzu- 
tasten. 
Was nun im 15. Jahrhundert dem bis dahin dunklen Ringen zu klarer 
Gewissheit und zum Siege verhalf, war kein äusseres Ereigniss. Wohl 
kam wie immer dem drängenden Triebe der Zeit eine Reihe von grossen 
Entdeckimgen und Umwälzungen zu Gute: aber sie sind selbst grössten- 
theils mehr als Symptome desselben unaufhaltsam gewordenen Bedürf- 
nisses nach Erkenntniss zu betrachten und haben dann wohl mitgewirkt, 
beschleunigt, gezeitigt, aber es wurde doch nur das zu allgemeiner Gültig- 
keit ausgeprägt, was Einzelne bisher in der Stille angestrebt hatten. 
Hubert van Eyek tritt in Flandern meteorartig, nachdem freilich in der 
Sculptur Claux Sluter vorangegangen war, mit einer neuen Malerei hervor, 
die, scheinbar im Dienste der alten Ideen, doch durch die Form und die 
Darstellungsmittel jene neue Macht in's Feld führt, welche die Kunst völlig 
umgestalten sollte. Und so gewaltig packt er die Zeit an der Wurzel 
ihres Wollens und Wesens, dass er Alles mit sich fortreisst und nicht blos 
der Malerei, sondern auch der Plastik im Norden auf ein Jahrhumlert 
fast ihre Bahnen verzeichnet. Und wie es in solchen Epochen stets ge- 
schieht, dass das überall schlummernde Bedürfniss zur selben Zeit auf 
verschiedenen Punkten erwacht und Gestalt anninnnt, so auch hier. Italien 
ist mindestens ebenso früh, wie der Norden auf denselben Bahnen, und 
auch hier ist es die Plastik, die der Malerei als Führerin vorschreitet, 
um dann bald von ihr überflügelt zu werden. Beides war naturgemass. 
Wenn eine Kunstepoche, die mehr durch spiritualistisehe Anregungen und 
die Empfindung sieh leiten liess, zu klarer Formbezeichnungilurclidringen 
will, so ist die derbere Kunst, die Plastik, der Pionier, der die Wege bahnt, 
Im greifbar festen Stoff schaffend, drängt sich ihr zuerst das Bedürfniss 
auf, ihre Gestalten lebenswahr und lebensfähig (lurchzubildon. Sie fängt 
an zu messen, zu forschen, zu zergliedern und lässt nicht nach, ehe sie 
Herrin des organischen Gefüges ist. Die Malerei pflegt in Qolchen Epochen
	        
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