nftes Kapitel.
Italienische Bildnerei von 1200
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darunter die eine nackt, die andre mit römisl-hei- 'l'oga bekleidet ist, und
drei 'l'hiere: Löwe, Greif und Hund. Auch am Aufgange der Treppe hält
ein ruhender Löwe Wacht. Ueber den Säulen sind vor den Bogenfeldern
allegorische Gestalten von Tugenden als 'l'ri-tger der Kanzel angebracht,
und die Flächen zwischen ihnen mit Propheten und Evangelisten aus-
gefüllt. Endlich folgt die Brüstung, deren Flachen mit fünf bedeutenden
Reliefdarstellungen gesehniüelzt sind. Sie enthalten die Verkündigung und
die (äcburt Christi, die Anbetung der Könige, die Darbringung im Tempel,
die Kreuzigung und das jüngste Gericht. Von diesen Reliefs sehliesst
die Kreuzigung sich noch am nächsten der früheren Darstellungsweise an;
dagegen ist bei der Geburt Christi und der Anbetung der Könige die
Schilderung ganz in antike Auffassung getaucht. Besonders erinnert die
Madonna, das eine Mal königlich auf ihrem Lager hingegossen, das andre
Mal wie eine Fürstin thronend, mit Diadem, Schleier und reichen Ge-
wändern, eher an die Gestalt der Juno, als an die der demüthigen Magd,
die im Stalle Zuiiucht suchen musste. Der Künstler antieipirte hier die
Königin des Himmels und schob ihr die Herrscherin des Olympos unter.
Aber auch in andern, selbst in untergeordneten Figuren klingt dieselbe
antike Grundstiinlnung an, am lautesten in mehreren der alhagorisehen
lilinzelgestalten. Für die Starke wählte der Meister nicht das herge-
braehte Bild einer weiblichen Idigur mit einer Säule oder einem Schilde,
sondern einen I-Iercules, der mit jungen Löwen spielt. Ein andres Mal
schwebt ihm eine Statue der Venus, dann wieder die grandiose Figur
eines sehreitenrlen bärtigen Dionysos vor. Dennoch verfahrt er nicht
sklavisch nachahmend, sondern frei umgestaltend und führt namentlich,
wo es den Ausdruck des Heitern, Festlichen gilt, antike Anschauungen in
den christlichen Kunstkreis ein. Es war, wie Burckhardt sagt, eine ver-
frühte Renaissance, die eben deshalb keinen Bestand haben konnte.
Nicola war in der Plastik den Mitlebenden ebensoweit vorausgeeilt, wie
sein Zeitgenosse Kaiser Friedrich II. in den politischen Anschauungen es
war. Eine speciiisch religiöse Empfindung hat keiner von Beiden; viel-
mehr bricht bei Jedem in seiner Weise ein Zug moderner Subjectivität
hervor. Wohl musste bald die christliche Gesinnung der Zeit Nicola's
antike Renaissance vertreiben: aber seine Wirksamkeit hatte genügt, die
Plastik aus den Kinderschuhen zu befreien, ihr die Bahn einer neuen Ent-
Wicklung zu zeigen.
Welches Aufsehen das Prachtwerk von Pisa. gemacht haben muss,
erkennt man daraus, dass die Sienesen in rühmlichem Wetteifer den
Meister veranlassten, ihnen ein ähnliches, aber noch glänzenderes zu
schaffen. Dies ist die noch jetzt vorhandene Kanzel im Dom zu Siena.
Kanzel
Siena.
der Plastik.