Fünftes Kapitel.
Italienische Bildnerci von
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damals in der Luft lag, und dem man in der architektonischen Fassung
der praehtrolleii Königsgriiber des Doms zu Palermo, in den Kirchen
'l"0skana,'s, kurz überall wo freies künstlerisches Leben sieh regte, be-
gegnet. Es kam nur auf einen grossen hleister an, der die allgemeine
Strömung für die Plastik lebendig zu machen wusste.
Dieser Meister war iYicolu 10311210. Wir wissen nicht viel von seinen
Lebensschieksalen, noch weniger von den künstlerischen Verhältnissen,
welche seinen Entwieklungsgang betlingten. Was W'asari' von ihm erzählt,
ist ein (Äiemiseh von umrerbüi'gte11 (härüehten und von Erdielituiiggen, aus
welchen man nur vereinzelte, Körnchen von Wahrheit herauslesen kann.
Niellt einmal das Gleburtsjahr des grosseu Erneuerers italienischer Plastik
steht fest; nur soviel scheint aus einer am lilarktbitunnen zu Perugia ent-
deckten Insehrift hervorzugelieii, dass er zwischen 12W) und 1207 geboren
wurde. Er war der Sohn des Scr Pietro zu Siena, wie es scheint eines
Notars. dessen Vater Iäiagio von Pisa gebürtig wart"). Nieola ging
also nicht aus einer Küustlerfaunilie hervor, wie so viele andre Meister.
sondern ruuss (lure-h eigne Lust zur läildnerei getrieben werden sein: ein
Verhältniss, das in jenen Zeiten, wo meistens die liesehilftigilngeu in den
Familien tbrtiarliteii, zu den seltnen giehört und ebensowaihl 1i11g(iix'i3l111-
liehes 'l'ztlent als Willenskrzitt voraussetzt. Dies allein vernmg denn auch
die Erscheinung; eines solchen Meisters zu erklären, der unter seinen
Landsleuten einsam sieh erhebt und in seinen Werken das verwirklie-ht.
wonaeh die besten gleichzeitigen Italiener nur dunkel zu ringen ver-
moehmu. Dass er schon früh unter seinen Kunstgenossen hervorragte,
beweist das früheste seiner Werke, von dem wir bestimmte Kunde haben.
In der Vorhalle des Doms zu Lueca arbeitete er 1233 das Itelieaf im
Bogenfelde des nördlichen Seitenportals (Fig. 147). Es enthält eine
Kreuzabnahme, in (ieren Uomposition der junge Meister sich der früher
(S. 318) (srwähnten Imrstellung in S. Leonardo zu Florenz angeschlossen
hatttai"). Der Formeharakter steht dem jenes älteren Werkes noch nahe, aber
die Freiheit, mit weleher die dortigen Motive iungestaltet und die un-
schönen gewaltsamen Zuge veredelt, endlich das Ganze den räumliehen lie-
dingungen angepasst ist, verräth schon den grossen Oomponisten, den
selbständigen Künstler. Vergleicht man vollends die klare Anordnung und
i) Vasari ,
Lcluonnicr I.
258.
Diese Nachweisung verdanken wir E. Förster, der sie in seinen "Beiträgen
zur neueren Kunstg." (Leipzig 1835) geführt und mit Zeichnungen, denen die
unseren nachgebildet sind, belegt hat. Ebendort die beste und eingehendste Cha-
rakteristik der Werke Nicolxis.