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Drittes Bu
Beziehung
zur Kunst.
Selbstgefühl
der
Künstler.
um dieselbe Zeit geschah, um die Herrschermaeht unumselirüiikt zu machen,
lässt sich mit dem Gebahren dieser italienischen Despoten nicht verglei-
chen; denn da es im Norden sich um ausgedehnte Länder handelte, so
waren die Fürsten innnmar gezwungen, sich des Beistandes ganzer Klassen
der Bevölkerung, namentlich der Bürger und des niederen Adels zu ver-
sichern, um die grossen Vasallen zu beugen. Der italienische Gewaltmensch
aber, als dessen 'l'ypus die blutige Gestalt Ezzelinds aufragt, verfuhr
gegen Alle mit der ("lrauszunkeit des 'I'ig'ers und mit. der Riieksiehtslosigkeit
des brutalen Egoismus.
Man sollte meinen, solche Zilstande nlüssten der Kunst verderblieh
geworden sein; ziber dies war nicht der Fall. Nur erhielt dieselbe (ladureh
eine andere Riehtungy als im Norden. Der einzelne Meister tritt mehr für
sich hervor. Das Individuum macht sieh geltend, und das Selbstgefühl
des Künstlers entwickelt sich. Denn wie der 'l'yrann sich durch (Jewalt
über Alle erhebt, so sucht Jeder durch Kraft des Genies sich aus der
Masse zu sondern. Das Staatsleben bietet ihm keinen Spielramn; aber
der Machthaber selbst bedarf der Kunst, weil er durch ihre Hülfe seine
Person verewigen, monumental verherrliehen kann. Das Denkmal in die-
sem persönlichen Sinn kommt zuerst in Italien zur Erscheinung. Auch
darin klingt die Auffassimg des römischen Alterthums nach. Aber sogar
glänzende kirchliche Unternehmungen, wie der Bau der Certosa zu Pavia
und des Domes zu Mailand, verdanken solcher Gesinnung hier ihre Ent-
stehung. Dann wetteifern die freien Städte mit einander in Rathspalasten
und kirchlichen Dcnkmalen. Der Glanz und Ruhm der Stadt ist hier weit
mehr die 'l"ric-bfeder, als der religiöse Sinn, obwohl natürlich auch letz-
terer mit eintliesst. In diesem monumentalen Wetteifer muss die Bedeutung-
des Künstlers mächtig steigen. Im Norden baut, meisselt und malt man
vor Allem in frommer Hingebung. Das religiöse Gefühl ist dort vom An-
fang ein tieferes, innigeres. Die treuherzigen Meister mit ihren Gesellen
arbeiten handw'e1'klie.h zusammen, und ihr Werk gilt fast mehr wie ein
Produkt der Religion, als der Kunst. Wie hatten sie in ihrer germanisch
unbeholfenen Bescheidenheit zu einem künstlerischen Selbstgefühl kommen
sollen! Sie fühlten sich als brave Handwerker, und dafür nahm sie. auch
die Welt. Fast nie treten sie mit ihrem Namen hervor. Sie begnügen sich
mit der anspruchslosen llieroglyphilt ihres Handwerkszeiehcns, wie es
jeder Geselle als Marke seiner Arbeit aufdrückt. Aber jeder gewöhnliche
Quaderstein tragt solch demüthiges Zeichen eben so gut, wie die zierliehere
Konsole, oder die Statue, oder das Altarbild es erhält.
Wie anders in Italien! Schon im 12. hthrhnndert (lurften sich ("lort
die Urheber llIll)ClllllIllCll0l' Senlpturen als weise, kunstreiehe. ltleister