Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

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Drittes Buch. 
Einflüssen beruht. Der glänzende Ritter und Staatsmann starb 1439 zu 
Rouen; für sein Grabmal wurde in der Kirche zu Warwick eine besondere 
Kapelle errichtet, die 1442 begonnen und sammt dem Grabe 1465 voll- 
endet wurde. Der Kupferschmied Thomas Stevyzzs machte die Metallplatte, 
William Auslen, Giesser von London, die Statue des Verstorbenen und 
die kleineren Figuren der Leidtragenden; ein niederländischer Goldschmied 
zu London, Barlolorlzew Lanzbespring, besorgte die Oiselirung und Ver- 
goldung; John Bourd endlich fertigte den marmornen Sarkophag. Auch 
hier ist der Ritter, in der steifen, reich ausgeführten Tracht seiner Zeit, 
nur eine der vielen starren Panzerfiguren; aber der Kopf ist fast so fein 
und scharf durchgebildet, wie ein Portrait von van Eyek. Das Auge blickt 
sinnend vor sich hin; die Hände, die er zusammenlegen will, sind trefflich 
(lurchgeführt, und diese Bewegung giebt dem Ganzen überraschenden 
Ausdruck. Etwas geringeren Werthes sind die kleinen Figuren der 
Leidtragenden, doch gut erfunden und mannigfaeh in den Gewand- 
motiven.  
Wenn aber auch diese einzelnen bedeutenderen Denkmale vortheil- 
haft aus der Schaar der übrigen hervortreten, so vermögen solche Ausnah- 
men doch nicht das Urtheil zu mildern, welches wir über die Gesannntheit 
der plastischen Schöpfungen Englands auszusprechen haben. Armuth an 
Ideen, Abneigung gegen bedeute-ndere und tiefsinnigere Gestaltungen des 
kirchlichen Gedankenkreises, im Gefolge davon jäher Verfall in Styllosig- 
keit und Plattheit, sind die Grundzüge der englischen Plastik dieser Epoche. 
Was sie in einzelnen kleineren Werken an naiv Genrehaftem, an weich 
Empfundenein bietet, vermag keinen lilrsatz für jene Mängel zu gewähren. 
Der tiefere Grund für diese lürscheinung liegt (larin, dass das englische 
Volk während dieser Epoche seinen Charakter in jener specifischen Eigen- 
heit ausbildete, in welchem derselbe uns noch jetzt entgegentritt. Realistisch 
nüchtern, praktisch verstiindig, nach aussen förmlich und mit pedantischer 
Genauigkeit auf Aeusserliehes aehtend, entbehrt der Britte jene freiere 
Bewegung, jenen höheren idealen Schwung, der das Leben anmuthig ge- 
staltet und dem bildenden Künstler Stoff und Anregung bietet. Der aristo- 
kratische Sinn der Nation sucht vor Allem in glänzenden Grabmalern Be- 
friedigung; hier kann sein übertriebener Respekt vor äusserem Herkommen 
und Standesabzeichen sich genügen; hier findet auch der früh erwachte 
politisch historische Sinn reichliche Nahrung. Aber nicht ungestraft giebt 
die Kunst sich solcher Einseitigkeit hin. Wo neben der Portraitbildnerei 
keine grossen idealen Aufgaben gelöst werden, da fehlt der Ersteren der 
Born, aus welchem sie Eli-hebung zur reinen Schönheit, Freiheit der Com- 
position, Adel der Linien und Anmuth der Formen schöpfen könnte. Die
	        
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