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Drittes Buch.
zierlichen Gestalten hat der geniale Künstler mit besontlerer Liebe seine
Meisterschaft entfaltet. Denn in der grössten Abwechslung der Bewegung
weiss er die Trauer zu schildern; manche hüllen sich in ihre Mönchskutten,
die mit berechneter Einfachheit in breiten Parallclfalten gezeichnet sind;
andere werfen, wie in leidenschaftlicherAufregung, das Gewand in reichen
Falten zurück; wieder andere drücken händeringend ihren Schmerz aus,
oder lassen, wie geknickt, das Ilaupt tief auf die Brust her-absinken. Mit
wahrer Lust löst der Meister wie im Spiel die grössten Schwierigkeiten
und ist unerschöpflich in immer neuen Variationen. Alles dies (erinnert an
die kleinen Engelfiguren des Blosesbrunnens, wie denn auch die etwas
kurzen Körpervcrhäiltnisse den dortigen Gestalten entsprechen. Nur dass
hier in der grösseren Aufgabe und dem edleren ltlatcriztl Alles zu höchster
Feinheit (lurehgcbildet ist. Selbst die etwas unruhige Gesannntwirkting
und der bisweilen übertriebene Ausdruck werden durch ihre Lebenswahr-
heit aufgehoben. Geschmackvolle Vergoldung hob ursprünglitäli die Wir-
kung noch mehr. Auf dem Sarkophage liegt in grossartiger Ruhe, die
Hände zum Gebet gefaltet, die Statue Philipps des Kühnen im VOllOII
Staatsgewande, vom {Ierzogsmantel in weitem Faltenwurf umhüllt. Kopf
und Hände sind von einer Naturtreue, einem individuellen Ausdruck und
einer Feinheit, wie man sie etwa auf den um ein Deeennium späteren
Bildern Huberts van Eyck tindet.
Dass ein Meister von solchem Range den grössten Einfluss auf seine
Umgebung gewann und in den Gehülfen seiner bedeutenden Arbeiten eine
tüchtige Schule heranbildete, ist selbstverständlich. Wir finden denn auch
im liluseum zu Dijon das allerdings weit einfachere Grabmal eines Jacques
Germain, „bourgoys de Clugny, jadiz pere de revercnd pere en dieu J ehan
Germain evesque de Chalon," der 1424 gestorben. Die Gestalt liegt in
feierlicher Ruhe da, ganz in's Bahrtuch geschlagen, welches bloss den
unteren Theil des scharf und herb individuellen Kopfes sehen lasst lmd
durch seinen grossartigen Faltenwurf die ernste Stinnnung bedeutsam
steigert. Noch bestimmter erkennt man jedoch Sluters Einfluss an dem
Doppeldenkmal Johanns ohne Furcht und seiner Gemalin lllargaretha von
Baiern. Obwohl es lange nach dem 1419 erfolgten Tode des Herzogs
ausgeführt wurde 1442 und im folgenden Jahre traf man die ersten
Vorbereitungen dazu, 1444 wurde der Contrakt mit dem Künstler ge-
schlossen t) und 1461 war es noch nicht vollendet schloss man sich in,
Der Contrakt (vergl. den Katalbg des Mus. v. D. 1860 S. 186) bestimmt dem
Meister Jehan de 1a Versa. "taineul: wymaiges" die Summe von 4000 Liv., etwa
28,500 Fr. und enthält über alle Theile des Denkmals die genauesten Bestimmungen.