424
Drittes Buch.
wegung. Auch hier schwankt also der Styl noch zwischen conventionellem
Gepräge und sehüchternem Verlangen nach neuer Belebung.
Aus dem Anfang des funfzehnten Jahrhunderts bieten die Grüfte von
St. Denis noch einige interessante Arbeiten. Dahin gehört die Statue
Karls VI. (T 1422), eine Marmorstatue von ruhiger Ilaltung und klar
iiiessender Gewandbehandlung, der Kopf dagegen merkwürdig gemein,
breit und widerwärtig. Etwas besser stellt sich seine Gemahlin Isabella
von Baiern (T 1435) dar. Nichts kann aber den tiefen Fall aus dem
Idealismus in den platten Realismus so schart' bezeichnen, als wenn wir
sehen, dass seit Philipp VI. die Könige von Frankreich in ihren Statuen
sammtlieh eine hässliche, selbst gemeine Gesiehtsbildung zeigen, withrend
früher die typische Auffassung der Zeit nur jugendlich anmuthige Köpfe
litt. Wirklich scheint die französische Plastik durch langes Festhalten
an den Erfordernissen des älteren Styles die Fähigkeit einer freieren Em-
pfindung und einer selbständigen Bewegung zu sehr eingebüsst zu haben,
um dem erwachten Bedürfniss nach naturt-reuer Auffassung genügen zu
können; daher erhalten wir die Wirklichkeit zunächst in ziemlich uner-
freulicher Auffassung. Wo indess ein bedeutender Meister berufen wurde,
da fand man auch jetzt bisweilen den Weg zu einer Verschmelzung der
Portraitwahrheit mit der würdevollen Haltung, die von solchen Denkmalen
vorzugsweise gefordert wird. Ein bedeutendes Beispiel dafür ist in der
und m Kathedrale zu Bourges die Marmorstatue des 1416 gestorbenen Herzogs
B0urges' von Berry, welche Karl VII. setzen liess. Wohl sind die charakteristischen
Züge des Gesichts, namentlich in den Falten etwas hart wiedergegeben,
aber doch voll Lebenswahrheit, die edlen l-litnde sogar meisterlich be-
handelt, die Gewandung würdevoll in trcffliehein Illaltenwurf.
Igliäillsilg-e Vielleicht liegt uns in diesem Werke das Zeugniss von der Thätigkeit
Küißtler- eines jener ilietlerländischen Künstler vor, von denen wir durch
manche Nachrichten wissen, dass sie um jene Zeit zahlreich nach Frank-
reich berufen wurden. Der Herzog von Berry war selbst ein grossei-
Kunstfreund gewesen und hatte unter andern Meistern auch einen hoch-
gepriesenen Maler und Bildhauer Andre! Beazmeveu aus dem Hennegau
in seinen Diensten. Ebenso findet sich unter den Künstlern, welche
Karl V. für die Ausschmüekimg des Louvre berief, ein Meister Johann
von Lüttich als besonders geschätzter Bildhauer. Ein andrer Künstler
aus derselben Stadt, Namens llennequin, arbeitete das Denkmal, welches
jener König sich in der Kathedrale von Rouen setzen liess. Flandern
hatte sich damals durch die Betriebsamkeit seiner Bürger und die gross-
artige Ausdehnung seines Handels zu einem Reichthum ailfgesclnvungeli,
der eine glänzende Eiltfaltung der Kunst im Gefolge hatte. Der realistische