Viertes K:
Nordische Bildnerei der spätgt
ischenl Epoche.
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Querschitts, die bei noch trefflich stylisirten Gewändern etwas Kraftloses
in der Haltung und wenig Naivetat der Empfindung zeigen. Dagegen
sind die Postamcnte, auf welchen dieselben stehen, an ihren rechtwink-
ligen Pfeilerflächen mit einer Unzahl kleiner in ausgezackte Medaillons
gefasster Reliefs bedeckt, welche, wie es scheint, die Geschichte Josephs
und anderes Alttestamentarisehe, gegenüber Seenen aus dem Leben Christi
enthalten. Hier erkennt man durch den Gegensatz deutlich, wie den
llleistern jener Zeit zwar das kräftige Stylgefühl für die Behandlung
grosser Statuen abhanden gekommen, wie sie aber dafür in kleineren
Bildwerken durch naturwahix), oft reizende Züge des wirklichen Lebens
zu entschädigenwissen. Denn ohne grosse Feinheit der Durchführung
sind diese kleinen Bildwerke liebenswürdig erfunden, naiv erzählt, klar
angeordnet und daher im Ganzen ein bemerkensxxterthes Beispiel achten
Reliefstyls. Ihnen nahe veiwvaiidt erscheinen sodann die Reliefs im
Begenfelde des Portals, welche die Passion bis zur Auferstehung und
Himmelfahrt recht lebendig schildern. Nur in den Gewändern lässt sich
oft- etwas Gesuchtes, llizmierirtes erkennen.
ln auffallender Verwandtschaft mit diesen Werken stehen die Seulp-
turen an der Faeade der Kathedrale von Lyon. Ihre drei Portale zeigen
nicht allein an ihren Wänden ganz dieselbe (iliederung, sondern nament-
lich an den eben so gestalteten Postanienten der fehlenden Statuen in völlig
gleichen ivledaillons eine Unzahl reizend componirter Reliefs voll Leben,
die eine kaum übersehbare Fülle des manniehfaehsten Inhalts bieten.
Man sieht allerlei Symbolisehes, wie den Pelikan, der seine Jungen mit
dem eigenen Blute tränkt; Phantastisehes verschiedenster Art, Sirenen
auf Orgeln spielend, Kämpfe zwischen Drachen und seltsamen Fabel-
ivesen; aber auch Scenen der Thierfabel, wie den Storch, welcher dem
Fuchs den Knochen kaus dem Halse zieht; endlieh eine llIenge von Dar-
stelhmgen aus dem Leben (ihristi, den llIart-yrien der Apostel und dergl.
Dazu kommen in den Arehivolten zahlreiehe sitzende Figürehen, von
ähnlich feinem und klarenrStyil. Die Verwvandtsehaft dieser Werke mit
denen am südliehen Kreuzarm der Kathedrale von Rouen ist so gross,
dass man beide für Arbeiten derselben Schule halten muss.
Kathedrale
von 14'011.
Einen weiteren Beleg für die plastische Thätigkeit bilden die Grab-
denkmale dieser Zeit. Sie zeigen ebenfalls wie die deutschen den allmäh-
lichen Fortschritt ins Naturalistische und Portraitartige, aber sie sehliessexi
sielrdein früheren Style inniger an und bewahren dadurch meistens eine
lnonuinentalere Haltung; naineiltlieli gilt dies auch hier von den weibliehen
(äestalten. Die (iruft- der Kirehe von St. Denis enthält zahlreiche
Grabnüiler.