Viertes Kapitel.
Nordische Bildnerei der spätgothischen Epoche.
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der Kathedralen noch LiUYCil einige Dec-ennion,
in die Mitte des Jahrhunderts hinein.
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Z 1.1111
vielleicht
bis
Eins der wichtigsten Werke der Epoche sind die umfangreichen
Reliefs, welche im Innern der Kathedrale von Paris die Ohorschranken
bedecken. Sie sind nur der liest des ehemals viel reicheren plastischen
Schinuckes, der zum grossen Theil unter Ludwig XIV. ein Opfer eitler
Prunksucht wurde. Die ältere Reihe der Nordseite enthält in gedrangter
Anordnung und in ununterbroehenem Zuge die Geschichte Christi von der
Verkündigung bis zum Gebet in Getsemane. Diese Darstellungen sind
lebendig empfunden und in einem Stylc ausgeführt, der noch den Geist
des _13. Jahrhunderts athmct; vielleicht gehören sie dem Ende der vorigen
Epoche, oder dem Anfange des 14. Jahrhunderts an. In manchen Punk-
ten verschieden sind die Reliefs der Südseite. Sie führen die Geschichte
Christi fort, und zwar war die Anordnung des Ganzen so, dass der
Cykhls, vom Osten anfangend an der Nordseite bis zum westlichen Ende
des Chorcs lief, dort am Lettner sich fortsetzte, wo die Passion, Kreuzi-
gung und Auferstehung Angesichts der Gemeinde dargestellt waren, und
dann an der Südseite, von Westen nach Osten sich bewegend, abschloss.
Hier sind nun von den neuen Scenen diejenigen noch vorhanden, welche
von der Begegnung Christi als Gärtner mit Magdalena bis zum letzten
Abschiede von den Jüngeru nach der Auferstehung reichen. Als Meister
dieser neuen Geschichten nannte sich in einer jetzt ebenfalls verschwun-
denen Inschrift Meister Jclzavz Ravy, der sechs und zwanzig Jahre den
Bau von Notre Dame geleitet, Worauf dann sein Neffe "Meister Jehan
Ze Bouteiller die Arbeit im Jahre 1351 vollendet habe. Meister Ravy
glaubte offenbar seinen Vorgänger von der Nordseite verbessern zu
inüssen; denn während jener die Scenen zu ununterbrochener Reihen-
folge verbunden hatte, theilte er durch Arkadenstellungen die seinigen
in einzelne Felder, so dass die noch vorhandenen neuen Darstellungen
von einander (lurch Säulchen getrennt sind. Er folgte darin der allge-
meinen Stimmung des Ja-hrhunderts, welche überall den ruhig epischen
Reliefcharakter der früheren Zeit in's lilalerische zu steigern suchte.
Während aber seine etwas kurzen Gestalten bei gutem Verstandniss des
Körpers und sauberer Schärfe der Ausführung allerdings in Correktheit
den Figuren der Nordseite überlegen sind, waltet in jenen eine frischere
Empfindung und schwungvollere Bewegung, gegen welclie die Weit be-
fangenere Haltung der neuen Werke absticht und gelegentlich selbst inls
Hausbaekne herabsinkt. (Fig. 141.) So ist also an diesen Arbeiten,
trotz allen Aufwandes künstlerischer Sorgfalt ein Sinken der schöpferi-
schen Kraft unverkennbar.
xorschran!
ken von
Dame z:
Paris.