Viertes Kapitel.
Nordische Bildnerci der spätgothischen Epoche.
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In den rheinischen Gegenden finden wir zunächst am Münster zu
Freiburg tüchtige plastische Arbeiten, die mit der Erbauung des Chores
(insehriftlich seit 1354) zusammenhängen. Am nördlichen Chorportal
ist in der Hohlkehle des Bogens die Sehöißfungsgeschichte in zehn Reliefs
lebendig geschildert. Gott marscheint in langem Gewande als eine edle
Gestalt in kräftigem Mannesalter, besonders grossartig wo er zuletzt thro-
nend sein Werk überschaut und sieht, dass alles gut sei. Recht sinnig ist
der Gedanke, dass er den eben geschaffenen Adam, der wie ein steifer
Rekrut vor ihm steht, erst zurechtriicken und in Bewegung bringen muss.
Bei Erschaffung der Eva erblickt. man den schlafend Daliegenden in treff-
licher Verkürzung von der Rückseite. Recht naiv ist auch, wie zuletzt
Gott die straff dastehenden Urältern des Menschengesehleehts väterlich
zusammengiebt. Im Bogenfelde erscheint der thronende Schöpfer, von
einem knieendeil Engel angebetet, während ein Teufel voll drastischer
Bewegung hintenüber stürzt. Darunter sieht man den Sündenfall, die
Vertreibung aus dem Paradiese, zuletzt Adam und Eva bei der Arbeit.
Das südliche Cherportal enthält den Tod und die Krönung Maria.
Ein ganzes Compendium der heiligen Geschichte ist in miniatur-
artiger Ausführung am Westportal der Kirchezn Thann (1346) zu-
sammengedrangt. In der Anlage dem l-Iauptportal von S. Lorenz zu
Nürnberg verwandt, nur minder klar entwickelt, enthält es in den beiden
kleineren Bogenfeltlern die Kindheit Christi und seinen Kreuzestod;
(larüber im grossen Bogenfelde die Geschichte Maria bis zu ihrer Krönung;
dazu in den Hohlkehlen der Einfassung zahlreiche figürliche Scenen, mit
den Schöpfungsakten beginnend. Die Arbeiten sind zwar ungleich, die
Formen und Verhältnisse durch den Maassstab in ihrer Entfaltung be-
schritnkt, allein das Ganze recht naiv und anziehend.
Am Niederrhein erwacht erst in dieser Epoche in Köln eine höhere
Regsamkeit der Bildnerei. Der 1322 vollendete Chor des Doms erhielt
erst um die Mitte des Jahrhunderts unter dem Erzbischof Wilhelm von
Gennep ("1349-461) die polychromirten überlebensgrossen Statuen Christi,
der Maria und der Apostel" an den Pfeilern. Es sind Arbeiten von einer
gewissen mühevollen Sorgfalt, noch ziemlich streng in den Köpfen, die
Hände fein, die Gewänder grossartig aber nicht ohne ein studirtes Wesen
und Ueberladenheit, zum Theil von etwas befangener Haltung (Fig. 136),
mehrfach jedoch in jener erkünstelten, stark ausgebogenen Wendung, die
ein aifcktirtres Wesen ausdrückt. Ungefähr aus derselben Zeit sind eben-
dort die in weissem ltlarmoi- ausgeführten Iloehreliefs von der Vorderseite
des IIauptaltai-s, in der Mitte die Krönung hlziriit, zu beiden Seiten
die Apostel, ähnlich reiche Gewandfiguren von etwas schwerer Anlage.
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Münster zu
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