Viertes Kapitel.
Nordische Bildnerci
der spätgothischen Epoche.
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sonders durch die herrlich fliessentlen (Jciviinrlei- empfängt das Ganze eine
ergreifende Stimmung. Vorzüglich sind die Engel durch jugendlichen Reiz
ausgezeichnet, mit edlem, fast griechischem Protil, etwas vornehm vor-
tretendem Kinn, und der eine mit köstlichen Locken.
Ein vereinzeltes Werk von einem der berühmten Meister aus der
Familie der Arler von Gmüntl findet sich in Prag. Es ist die mit dem
Zeichen des Prager Dombaumeisters Peter Arier versehene Statue des
heiligen Wenzel im Dome: ein Bildwerk voll lebendigen Ausdrucks und
freier Bewegung und ein interessantes Zeilgniss wechselseitiger künst-
lerischer Beziehungen; denn während Schwaben durch seine Baumeister
und Bildner auf die böhmische Kunst einwirkte, empfing es (in den Ge-
mälden der Kapelle zu Mühlhanscn am Neckar) dagegen Einflüsse der
böhmischen Malerschule.
Vom Schluss dieser Epoche sind die Arbeiten an der seit 1406 e1'-
bauten Liebfraucnkirchc zu Esslingen. Hier enthält das südöstliche
Portal im Bogcnfeld Reliefscencn aus dem Leben der Maria: unten die
Anbetung der Könige, in der Mitte den Tod und oben die Krönung der
Madonna; Alles noch ganz naiv im hergebrachten Styl des vierzehnten
Jahrhunderts, lebendig componirt, fein und geschmackvoll in den Gewän-
dern, und nur in den Bewegungen bisweilen etwas gesucht. Am westlichen
Portal der Südseitc ist mit geschickter Raumbenutzung in zwei Abthei-
hnigcn das Weltgericht (largestelltt), wobei besonders die Gruppe der
Verdammten Elemente humoristischer Dramatik bietet. Ein possirlicher
'l'eufel halt den lilöllenrachen mit einem Balken, an welchen er sich fest-
klammert, weit zmtgesperrt. Solche, Motive wird die Plastik von den da-
mals schon stark possenhaftcn Mysterienspielen sich angeeignet haben.
Naiv ist auch wie Petrus mit riesigem Himmelssehlüssel die Frommen
(impfangt, während aus den Fenstern neugierige Himmelsbewohnei- auf die
Ankönnnlinge blicken. Unter dem statuarischen Schmuck zeichnen sich
über dem Portal die beiden grosscn sitzenden Gestalten der Propheten
David und J esaias ziusiiit), charaktervoll und bedeutend, die Gewänder in
grossen Massen bewegt. Recht lebendig ist endlich am Westportalwtt)
S. Georg auf schwerfallig unedlen], aber feurig einhersprengendem
Rosse dargestellt, wie er mit mäehtigem Stosse den Lindwurin erlegt
(Fig. 135). Tüchtige Arbeiten sind dann noch die Apostelstzltuent) an
den Strebepfeilern des Chors und hoch am östlichen Giebel des Schiffes die
weit hinaus über Stadt und Land blickende Madonna.
Charakteristisch abgeb.
H) Abb. ebenda. S. 47.
Lübke, (Jescln. der Plastik.
in C. Heidelofuv Kunst d. in Schwaben.
k") Ebenda S. 48. T) Ebenda S. 49.
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