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B ucll
Drittes
Dazu kommt nun endlich, dass auch der Werth der einzelnen Leistun-
gen viel grüssere Schivzinkungen und Verschiedenheiten zeigt als in der
früheren lilpoehe. Dies hing damit zusammen, dass die Plastik jetzt völlig
in die Hände der bürgerlichen Meister übergegrangen war und an dem
zünftigen Betriebe zwar eine solide technische Schule, aber auch eine un-
verkennbare geistige Schranke hatte. Und wie die glänzende ritterliche
Dichtung bald verblühte und endlich in den hausbzickencn Meistersang aus-
lief, so fehlt auch der Plastik des vierzehnten Jahrhunderts gar zu oft die
geistige Tiefe und der feurige Schwung, den ihre Vorgängerin aus der Ge-
lehrsamkeit undder ritterlichen Bildung ihrerZeit schöpfte. Daher kommt
es denn auch, dass die Plastik etwa anderthalb Jahrhunderte in denselben
Spuren ziemlich gedankenlos fortgeht, ohne neue Anschauungen oder neue
Darstellungsmittel zu erobern. Nur in dem einen Punkte einer g-rösseren
Naturwahrheit machte sie vielfach Versuche, die allerdings als Symptome
der neuen Zeitregungen bemerkenswerth sind, aber in künstlerischem
Sinne doch nur den innern Zwiespalt kund thun. Die frühere Zeit war
deshalb so gross, weil sie nicht mehr geben wollte als ihre technischen
Mittel und die noch schivaclieii Naturstudicn erlaubten. Die gegenwärtige
Epoche will mehr geben, als sie vermag, und scheitert an dem noch zu ge-
ringen Maasse der Naturerkenntiiiss wie an den Schranken ihrer mang'el-
haften psychologischen Beobachtung.
S0 dürfen wir denn, trotz mancher gelungenen Einzelheit, in der
Plastik des vierzehnten Jahrhundtirts (len hereinbreehenden Verfall der
Bildnerei des lilittclalters nicht in Abrede stellen. Wie sich die früheren
(iedankenkreise erschöpft hatten, fielen auch jene grossartigen sym-
bolischen Bildercyklen in sich zusammen, und aus den 'I'rüm1nern des
Gebäudes nahm man die lhnehstiicke historischer Schilderung und ver-
wendete sie fortan in kleinerem Rahmen und geringerer Ausführung zur
Zierde der neuen (iottisshänser. Ueberblicken wir aber die kurze Dauer
und den jähen Verfall der christlichen Bildnerei, und erwägen ihre Stellungj
und die Bedingungen ihres Wirkens, so werden wir uns nicht über ihr
rasches Hinsiiwrheii, sondern über die glänzende Blüthe wundern, die sie
trotz hemrneuder Verhältnisse entfaltet hat. Denn es muss wiederholt
hervorgehoben werden, dass die Plastik nur bedingungsiveise den ehrist-
liehen Ideenkreisen dienen kann. Je vollkommener sie ihren Beruf ertiillt,
je siegreieher sie die körperliche Schönheit der BIenscln-iigestnlt zur Er-
scheinung bringt, desto enipiindlichei- leidet das geistige: Wesen (lt-s
Christenthunis, das nicht auf Verhewliehung, sondern auf Abtödtung und
Kierschmäliung sinnlicher Sehönheit beruht. Nur lnittxallpil- 30m9 das
Christentlnnn der Plastik fürderlirh werden, indem es die W119 Bpfrpiung