Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

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Drittes Buch. 
hinabsinkt, scheinen sieh die gesunden Elemente der Zeit in den auf- 
bliihenden Bürgerstand zu retten. Hier ist frisehes NVaehsen und Ge- 
deihen, hier ein stolzes Selbstbewusstsein und Gefühl der eignen Kraft, 
die sich in kühnem Freiheitsdrang und dem Streben nach demokratischen 
Verfassungen ausspricht. Daneben geht aus dem Sehoosse derselben 
Kreise, aus den bürgerlichen Mönchsorden der Städte, die jetzt mehr und 
mehr aufkommen und wieder einen scharfen Gegensatz gegen die alten 
aristokratischen Genossenschaften der Benediktiner und Cisterzienser 
bilden, eine ähnliche Opposition auf geistliehem Gebiete hervor und bringt 
an Stelle der abgestorbenen, verknöcherten Seholastik die innerlich ge- 
wordene, subjektiv erregte Schwärmerei der Mystiker zu Tage. So finden 
wir überall die alten Institutionen im Wanken, überall einen neuen Lebens- 
hauch thätig, die Empfindung des Einzelnen über die Schranken des Her- 
könnnliehen hinausstrebend. 
Solche Stimmung muss den bildenden Künsten besonders förderlich 
sein, da sie vornehmlich befähigt sind, die Gefühle des Einzelnen zum Aus- 
druck zu bringen. In der That finden wir, dass die neue Zeit sich mit aller 
Kraft der Pflege plastischer und malerischer Thätigkeit zuwendet, ja letztere 
in erster Linie bevorzugt. Denn die Malerei vermag in dem zarten Schimmer 
der Farbe das Leben der Seele am tiefsten zu offenbaren, und wenn auch 
die Plastik des Mittelalters des farbigen Schmuckes fast ohne Ausnahme 
theilhaftig war, so wviderstrebt doch die feste materielle Form der Innigkeit 
einer ganz in Empfindung, selbst in Empfindsamkeit aufgehenden Zeit. 
Glauben wir doch ein Hüssigeres Leben, eine freiere malerische Behandlung 
selbst in der Architektur dieser Epoche zu erkennen: wie hätte sich die 
Plastik derselben Richtung entziehen sollen! Und wirklich gehen Um- 
wandlungen, nicht plötzlich, sondern ganz allmählich, unvermerkt mit ihr 
vor, die nur aus dem Ueberwiegen des Empfindungslebens sich erklären 
lassen. Die Keime zu dieser Umbildung waren schon in den Werken der 
vorigen Epoche vorhanden. Wir wiesen dort wiederholt auf gewisse 
typisch wiederkehrende Bewegungen des Körpers, auf ein conventionelles 
Lächeln mit halbgeschlossenen Augen und heraufgezogenen Mundwinkeln 
hin, wodurch Innigkeit und Holdseligkcit ausgedrückt werden sollte. Diese 
Züge werden jetzt immer mehr verstärkt, die Gestalten ergreift ein selt- 
sames inneres Leben, das sich in geschwungenen Stellungen Luft macht, 
in starkem Ilerausbiegen der einen und ebenso starkem Einziehen der 
andern Seite, in gesenkter oder geneigter Kopfhaltung, in übertriebenem 
Lächeln, wobei nun die Augen sogar schief gestellt werden, indem der 
äussere Winkel tiefer als der innere liegt. Zugleich werden die Gewand- 
massen gehäuft, durch viele gar zu detaillirte Falten gebrochen, die Linien
	        
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