Drittes Kapitel.
Nordische Bildnerei der frühgotl
ischen Epoche.
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kennbar aus; es ist dieselbe Schule, aber in Freiberg zu höchster Anmuth,
Leichtigkeit und Freiheit durehgebildet.
Derselben Richtung begegnen wir wieder in einem zweiten Werke
der Kirche zu Wechselburg, dem plastischen Schmucke des Haupt-
altarsf") Es ist ein grosser steinerner Bau, mit zwei Bögen gegen die Apsis
geöffnet, in den Nischen mit vier Reliefüguren, Daniel und David, einem
Propheten und einem jugendlichen König geschmückt. Diese Arbeiten,
in demselben grobkörnigen rothen Rochlitzer Sandstein ausgeführt, wie
die Sculpturcn der Kanzelbrüstung, zeigen eine Vollendung und Feinheit
des Styls, die über die Ungunst der Materials triumphirt. Die Ge-
stalten haben dasselbe anmuthige, jugendliche Gepräge, dieselbe Innig-
keit des Ausdrucks, den weichen Fluss der Gewänder, das allseitig ent-
wickelte Formverstandniss der Statuen von Freiberg. Hier ist nichts
Unfreies mehr, aber auch. noch nichts von dem Conventionellen der
gleichzeitigen gothischen Sculptur. Die Mitte dieses Altarbaues trägt
auf einem höheren Bogen die kolossalen, nicht wie gewöhnlich angegeben
wird in Holz geschnitzten, sondern in Thon gebrannten Figuren des Ge-
kreuzigten, nebst Maria und Johannes, diese beiden auf den nieder-
geworfenen Figuren des Judenthums und Heidenthumes stehend. Der
Körper Christi ist trefflich durchgebildet, Maria und Johannes von
innigem Ausdruck, das Ganze noch in alter, wenngleich wohl etwas
erneuerter Bemalung. An den Armen des Kreuzes sieht man in Re-
liefs Gottvater, zwei fliegende Engel und unten eine männliche Gestalt
mit dem Kelche, vielleicht Nikodemus, der das Blut Christi auffangt.
Der schärfere Styl, namentlich in den gehäuften Falten der Gewänder
mag zum Theil sich aus dem Material erklären, hauptsächlich aber
scheint er der Ausfluss einer übertreibenden Manier, die mit ihren
tiatterndcn Gewandzipfeln schon seit dem Ausgange der vorigen Epoche
sich in manchen deutschen Bildwerken bemerklieh machte. Derselben
Schule und Epoche gehört dort im Chore das Grabmal des Grafen Dedo,
des Stifters der Kirche (T 1190), und seiner Gemahlin Mechthildis an. Es
sind edle Gestalten von lebendigem Ausdruck, mit fein entwickelten
bewegten Gewirandcrn, jedenfalls nicht vor 12.50 ausgeführt.
Im übrigen Deutschland wissen wir nur noch ein umfangreicheres
Denkmal dieser letzten feinen Naehblüthe des romanischen Styls zu
nennen: die reiche plastische Ausstattung in der Doppclkapelle auf Burg
Trausnitz bei Landshut. An der oberen Chorbrüstung sieht man in
zierlichen Nischen funfzehn halb lebensgrosse sitzende Gestalten Christi,
Altar zu
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burg.
Trausnitz b
Landslml.
bei Pullricrl: a.
und in F örstvriv Dcnkln.