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Drittes Buch
bilden, ist Berengaria, Richards Gemalin ("t 1219), in einem herrlichen
Grabstein der Abteikirehe l'Espa'i1 bei le Maus höchst lebensvoll mit
freien offenen Augen gebildet. Das Gewand fliesst in weiten Falten herab,
der vornehme Kopf ist von antiker Grossartigkeit, die Hände halten ein
Kästchen und die Füssctruhcn auf einem Hunde, dem Sinnbild der 'l'reue.
Hier ist der Sieg des neuen Styles vollständig entschieden. Sodann finden
sich in der Kathedrale zu Amiens zwei grosse bronzene Grabplatten der
Erzbischöfe Eberhard von Fouilloy (T l 223) und (iottfried von Eu (T 1237),
welche dieselbe tiiessendc Behandlung des Gewandes, dieselbe ideale Aus-
prägung der Köpfe zeigen. Von gleicher Anordnung, die ruhende Gestalt
von einer Nische in gebrochenem Spitzbogen umfasst, von sechs Löwen
getragen, stehen die Füsse auf zwei sich bekämpfenden Drachen. An der
zweiten Platte ist Alles i'eicl1e1', lebendiger, freier, die Hände namentlich
in vollem Verständniss und edlen Formen durchgeführt, auch sind zwei
liebliche Engel mit Kerzen und zwei andere mit Weihrauchgefässen hinzu-
gefügt.
Das wichtigste Gesammtdcnkmal der Grabseulptur dieser Zeit ist die
grosse Reihenfolge von sechzehn Denkmälern, welche die Gruft der Kirche
von St. Denis auf Anordnung Ludwigs IX. erhielt, und die 1264 nach
vollendetem Umbau der Kirche dort aufgestellt wurden. Sie beginnen mit
den lilerowingern und Karolingern und gehen bis zu den Fürsten des drei-
zehnten Jahrhunderts herab. Natürlich konnte hier von Aehnliehkeit nicht
die Rede sein; die Künstler geben überall den typischen Idealkopf ihrer
Zeit, in vollen weichen Formen, bei Frauen wie bei Männern ziemlich
gleiehlautcntl, doch fallen die Locken bei letzteren frei in demselben eon-
ventionelleil Sehwunge zu beiden Seiten herab, während sie bei den Frauen
theilweise vom Schleier verhüllt sind. Alle haben das lange, in tiefen
Falten herabiliessende, bei den lllännern nur bis an die Knöchel reichende
Untergewand und darüber den weiten auf der Brust befestigten Mantel.
Die Rechte hält das Seepter, während die Linke sich gewöhnlich mit dem
Mantel zu schaffen macht und dadurch dessen freieren Wurf motixiirt.
Fast scheint es, dass man der chronologischen Reihe nach verfuhr, denn
die Gestalten Chlodwigs, Pipins und dessen Gemalin Bertha sind plump
und schwer, der Faltenwurf geistlos, die Haltung ängstlich und befangen.
Allein schon Karls des Kahlen Gemalin Ermentrutle ist weich und
anmuthig aufgefasst, wenngleich noch etwas gebunden im Styl. Etwas
schwächer ist wieder Ludwig III., trockener in der Behandlung Karlmann,
und ebenso Robert II. Dagegen sind die Uebrigcn meistens frei und
schön; so ist Endes eine der besten Statuen der Zeit, und ebenso die
herrliche Gestalt der Constanee von Arles edel in reich entwickelter (te-