ittes Kapitel.
Nordische Bildnerei der frühgothisghen Epoche.
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(letaillirtem und trefflich durehgefiihrtein Körper. Reitende sind sammt
den Pferden mehrfach in vorzüglich wahrer, lebendiger Bewegung ge-
schildert. Die Gestalten reifer hläinnei- oder Greise sind meistens, während
ihre Gewänder vollkommen den Styl der übrigen zeigen, durch Falten am
Halse, an der Stirn, durch ein schärferes Ilervorheben der (ilesiehtsformen
ganz bestimmt charakteristisch, ja individuell behandelt. Andere dagegen,
die ganz ideal gehalten werden sollen, wie Engel, Jünglingtr, Frauen,
Christus, erhalten einen mehr typisch allgemeinen Siehnitt, eine vollere,
sanftere, weichere Behantllung der Form. Aueh das Haupt- und Bai-thaar
wird als Mittel für die Charakteristik benutzt. iVährend es bei den stren-
geren Gestalten in harte Löckehen gleich denen des früheren Styles gelegt
ist, erreicht es in den schöneren Werken eine vollendete Freiheit und
Wieiehheit, die in kleineren W ellen oder grossen geschwungenen Locken
oder endlich in (liehtem Gekräusel Alter und Geschlecht mit grosser Fein-
heit
Man hat die Bliithezeit dvs (lreizehnten Jz1l11'hunderts Wohl mit der
Glanzepoche der griechischen Kunst zur Zeit des Phidias verglichen. In
der That haben, trotz ihrer (äegeilsätze, beide 13130011611 in ihrem künst-
lerischen Schaübn eine wunderbare Verwandtsrhaft. In hcidvn eine ähn-
Vergleivh
mit der
rrinchische:
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liehe Begeisterung für die höchsten Interessen, eine geniale Sorglosigkeit
um die materiellen Details des Lebens, kurz jene erhöhte Stimmung, die
allein fähig maeht zu Schöpfungen von reinster Idealitat. Beide treten
einen von der früheren Zeit vielfach durehgearbeiteten Schatz geheiligter
Tlradition an, finden einen Kreis typisch festgesetzter Gestalten vor,
welchen sie nun mit ihrem feineren Naturgefühl, ihrer tieferen Empfindung
ein tlüssigeres Leben verleihen können. Denn dort wie hier verlangt
man nicht das Neue, sondern immer wieder das Alte, Ueberlieferte, die
bekannten und vertrauten Gestalten" des Mythos, die im Volksbewusstsein
lebendig waren, Daher konnte die Kunst sich an den immer wieder-
kehrenden Aufgaben zu einem festen Styl, zu grösserei- Freiheit und
endlich zu höchster Anmuth (lurcharbeiten. Dazu kam die bei aller Yer-
sehiedenheit (loeh so ähnliche Verbindung mit der Architektur. Wer wird
leugnen, dass die Kunst des dreizehnten Jahrhunderts weder in der ge-
danklichen noch in der räumlichen Entfaltung mit jener unvergleichliehcn
Klarheit der griechischen Kunst sich messen dürfe, (lass ihr namentlich
die festen, für plastische Darstellung so geeigneten Ideale der antiken
Kunst fehlten, und dass die christlichen Irlealgestalten eben wegen der
(ieringschätzung des Körperlichen keine plastische, nur maleriselu-
sind; wer wird nicht zugeben, dass aus der scholastischen (äelelirsztmkcit
manches dem Volke minder Xierständliche, aus der complitrirttln ("onstruc-