348
ttus Buch
NYeitercr
plastisvher
Schmuck.
Natur--
Studien
O
gen die Lieblingsaufgaben der Künstler waren, während die grossen Sta-
tuen der Portalwvände oft untergeordneten Kräften überlassen blieben. So
sind namentlich in den beiden unteren Reliefstreifen, wo das Schicksal
der Guten und der Bösen lebendig geschildert wird, indem einerseits Engel
die Seelen in Abrahams Schooss tragen, andrerseits satyriihnliche Teufel
die Vertreter aller Stände in das höllische Feuer schleppen, die Köpfchen
durchweg von einer Feinheit, zarten Rundung und Schönheit, sie
ein fast klassisches (icpräge haben; dabei aber ist über alle eine Heiter-
keit, ein kinderunseliuldiges Lächeln ausgegossen, das in keiner andern
Epoche der Kunst so holdselig die Werke der Plastik verklärt und sie
dem Gemüthc nahe bringt. Auch die sitzenden Gestalten musicirender
Engel an den Archivolten sind von der grössten Schönheit.
Aber damit ist der unermessliche Reichthum plastischer Ausstattung
noch nicht erschöpft. So sind an den Strebepfeilcrn der Chorkapellcii
kleine betende Engelfigürchen angebracht; -so stehen ringsum wie
heilige Wächter des Gotteshauses grössere Engel in den Baldachinen der
Strebepfeiler, an der Südseite fast durchgängig schön, anmuthig bewegt
und in edlen Verhältnissen; nur bei einigen, die wohl erst dem 14. J zihr-
hundert angehören, sind die Körper über-schlank, die Bewegungen über-
zierlieh, die Köpfchen etwas verzwiekt. Au der Nordseite sind sie
minder gelungen. Endlich ist noch im Innern der Kathedrale die ganze
Fläche der westlichen SClIlIISSVVZIIIÖ, welche die Portale enthält, mit
kleinen Statuen in reihenweise übereinander angebrachten Nischen ge-
schmückt. Es sind bald einzelne, bald zu dramatischen Sccneil, wie
z. B. der Kindcrinord, verbundene Gestalten. Auch hier zeigen sich die
Körper frei entwickelt in eleganten Verhältnissen, die ltchandlung ist eine
vollendet plastische, welche, sich ihrer Mittel völlig bewusst, nament-
lich durch tief einschneidende Hauptfalten urirksam zu gliedern versteht.
Einiges erscheint antikisirend, bei anderem ist schon ein übertriebener
Hang zum Biegen und Wenden der Gestalten zu spüren. Immerhin
gehören sie zum Besten vom Ende des 13.J ahrhunderts. Am mittleren Por-
talsturz kommen kleine Gruppen von je zwei Figuren vor, die zum Theil
die Parabel von den Arbeitern im Weinberge frisch und lebendig vor-
führen. Einige Figürchen, namentlich an den Seitenportalen, sind auch
hier übertrieben schlank mit winzigen, etwas geziert lächelnden Köpfen.
Zum Theil mögen sie schon in's 14. Jahrhundert gehören.
Für den künstlerischen Standpunkt und die Naturstudien der Meister
dieser grossartigen Werke drängen sich dem Betmchtendeu charakte-
ristische Züge in Fülle entgegen. So sieht man (lraussen an den Archi-
volten des Hauptportatls einen heiligen Sebastian mit genau anatomisch