Drittes Kapitel.
Nordische Bih
lnerei der frühgothischen Epoche.
345
rNebcn dieser lebendigen Pracht der (lewandung wirken andere wieder
(lurch die schlichte Einfachheit, mit der das Gewand in grossartigen
Linien lang herabwvallt. (Zwei wieiblicvhc (icstaltcn sind in der lilenaissance-
zeit erneuert.)
Am Süd portal zeigt die südliche Reihe sclnrerc plumpe Gestalten
mit übergrossen Köpfen, die indess überall schon nach Bewegung und
Leben ringen. Man sieht Abraham mit dem zum Opfer knieenden Isaak,
Moses mit den Gesctztafeln, Johannes mit dem Lanun, Simeon mit dem
Ohristuskind und zwei andere Heilige. Dagegen gehört die Nordreihe
desselben Portals, welche Bischöfe und Könige enthält, zuden vollendet-
sten, schönsten der ganzen Kathedrale: leicht und frei bewegt, in klarer
Gewandbchandluiig, trefflich in verschiedener Charakteristik diuchgcführt,
haben nur die Köpfe zum Theil etwas Hartes, Scharfes, Dürftiges-
Am übereinstimmendsten ist die Behandlung in den Figuren des
Nordportals. Hier sieht man eine Gestalt von grösster jugendlicher
Anmuth, in der Rechten ein Buch halten, mit der Linken den Mantel
emporziehen und gegen die Brust drücken, so dass seine Falten in
grossartigem Schwung bis auf die Füsse niederwallen; dann wieder einen
heiligen Stephanus, dessen Diakonengewand in seiner schlichten Behand-
lung nicht minder schön die Bescheidenheit der Haltung hervorhebt.
Ueberaus holdselig sind zwei Engel, welche in zutraulicher Weise einem
schlicht und edel zwischen ihnen stehenden Heiligen zunicken. Alle diese
Werke athmen die höchste Vollendung des Styls. Unabsehbar ist aber
der Reichthum von plastischem Schmuck, welcher in zierlichen Reliefs,
kleinen Figürchen und Gruppen überall noch an den Wänden und in den
Hohlkehlen der Archivolten angebracht ist und eine ganze Welt von
naiver Schönheitund Lebendigkeit enthält. An den drei grossen Giebel-
{iächen über _den Portalen und den beiden der aussern Strebepfeiler sieht
man in der Mitte die Krönung der Maria, links die Kreuzigung; rechts
den thronenden Christus von Engeln mit den Leidenswerkzeugen umringt,
endlich auf den beiden aussersten Feldern die Verkündigung, alles voll
Leben und Energie, dabei bewundernsivürdig in den Raum componirt.
Nicht minder reich sind die beiden grossen Portale an der nörd-
lichen Facade des Querschilis geschmückt. Hier nimmt am Mittel-
pfeiler des Hauptportals der heilige Remigius merkwürdiger Weise die
erste Stelle ein. Er ist würdig und ernst mit etwas grossem Kopfe dar-
gestellt, in welchem durch allerlei realistisches Detail, z. B. Fältchcn an
den Augen und auf der Stirn bereits auf einen individuellen Eindruck hin-
gearbeitet wird. Weit schwerer und plumper sind die sechs grossen Statuen
an den Portalwitnden, mit so übermassigen Köpfen und so kinderartig
Gicbelfultler.
Nördlich
Kreuzan