Drittes Kapitel.
Bildnerci der frühgothisehen Epoche.
N ordischc
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Mit (liesen gesteigerten illittehl hatten die Künstler "einen nicht
minder reit-h entwickelten Irleengehalt auszudrücken. Was die Seholastik
in tiefsinnigei"Durchdringung der Heilslehre als grossartiges dogniatisehes
Gebäude hingestellt, was die von der Kirche ausgegangene dramatische
Kunst in den Mysterien dem Volke in lebenden Bildern vorgeführt hatte,
das wurde nun auch an den Portalen und Vorhallen der Kathedralen aus-
gemeisselt. Den Mittelpunkt bildet stets die Geschichte der Erlösung,
welcher als Gegenstück die Darstellung des Sündenfalles voraufgeht. Den
Seenen des neuen Testamentes werden umfassender als je zuvor die ent-
sprechenden Vorgänge des alten Testamentes gegenübergestellt. Neben
Christus und den Schaaren seiner Apostel und Heiligen machen sich die
ausdrucksvollen Gestalten der Patriarchen und Propheten geltend. An
Seitenportalen findet die Xierehrmig der Madonna ihren Ausdruck. Nicht
bloss ihr Leben und ihre Verherrlichung, sondern ihre Beziehung zum Er-
lösungswerk bildet hier den Grundgedanken, cier gleichfalls durch Ge-
stalten und Seene-n des alten 'l'esta1ne'ntes vorbildlich anschaulicher
gemacht wird. In (lritter Reihe fehlt dann an einem andern Seitenportalc
nicht die Geschichte des besonders verehrten Schutzheiligen der Stadt
oder des Stiftes. Zu alledem gesellen sich Darstellungen des ganzen
ilatürlichen und geistigen Lebens, der Kreislauf des {lahres mit seinen
Arbeiten, die Wissenschaften und Künste, selbst die Xierguügungen der
Menschen, so dass Alles in unmittelbare Beziehung zum Grundgedanken
gesetzt, in Allem das "Wirken Gottes auf Erden" veranschaulitßht wird.
So geben diese grossen Symb0liSCll-lliSt0l'iSCllOll Bildkreise die Summe
des Glaubens und Wissens ihrer Zeit.
Endlich findet auch der Humor seine Stätte, zunächst wie früher
in mancherlei originelhin Gebilden an Konsolen und wohl auch noch an
Kapitalen, sodann vorzüglich an den Wasserspeiern, den Ausguss-
rühren der Dachrinnen, welche als phantastische Drachen-, 'I'hier- und
Unthie1'-G-estalten, als seltsame Fratzen, uunderliche Menschenfigureii,
oft in possenhaften Stellungen] und Grimassen gebildet werden. Die Phan-
tastik, die den Völkern des Nordens im Blute steckt, und in jener Zeit
sich unbefangen als grobe, selbst unllätige Possenreisserei sogar in die
kirchlichen lilysterienspiele eindrängen durfte, suchte und fand in jenen
abenteuerlichen Gestaltungen ihren Ausdruck.
Frankreich.
In den n ordöstlichell Provinzen können wirmit dem
Beginn des '13. Jahrhunderts das erste Auftreten (lieses Styles naclnveisen.
Liihk n, (ävsr-h. der Plasiik. 22