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Drittes B:
festigt, mit langem, ziemlich engem Aermel, und ein weites mantelartiges
Oberkleid, auf der Schulter oder am Halse durch eine Agraffe gehalten,
oder auch ganz wie in der Antike über Schulter und Arm gezogen, bald
in freierem Wurfe, bald in engerer Umhüllung das reichste Wechselspiel
der Formen in bewegtem Faltenwurf darlegend. So nahe dies alles
noch der Antike steht, so ist es doch ein neuer Geist, der aus den
Stellungen, Geberden, ja aus den Köpfen in jugendlicher Anmuth zu uns
spricht.
Für die siöllige Wiirtligung der Plastik dieser lüpoche ist nun auch
ein Blick auf ihre Bemalung nothwendig: Um die Bedeutung derselben
zu verstehen, muss man sich erinnern, dass die Architektur des Mittel-
alters in umfassendster Weise von der Polychromic Gebrauch machte. In
der altchristliehen Epoche und bei den Byzantiner-n wurde das ganze
Innere der Kirchen mit bunter Marmortitfelung und Mosaiken, meistens
auf Goldgrund, bedeckt. Der romanische Styl erbte zwar nicht jene kost-
baren Stoffe, wohl aber den Sinn für vielfarbige El'Sl:ll6i1lLlllg' des Innern.
Mit seinen Vitandgemälden, seinen Teppichen und der Prachtbekleitlung
der Altäre suchte er Aehnliches zu erreichen; dazu fügte er den Schmuck
farbenstrahlentler Glasgemältle. Als die Plastik schüchtern anfing, sich
an der Dekoration des Innern zu betheiligen, erhielten auch ihre WVerkc
kräftige Bemalung, um sich harmonisch dem Licbrigen anzuschliesslan.
Alles (las gewann aber eine neue Bedeutung in der gothiseheil Epoche.
Je inniger Plastik und Architektur sich jetzt zu gemeinsamer Wirkung
verbanden, desto mehr musste Erstere sich dem polyehromen Ilausgesetze
der Herrin unterwerfen. So finden wir denn, dass nicht bloss reich ge-
musterte Goldvcrzierung, von einem leuehtcilden Roth, einem kräftigen
Blau unterbrochen, die Gewänder bedeckt, sondern dass selbst die nackten
Theile, Gesicht und Hände in zarter Weise naturgetreue Bemalung er-
halten. Weit entfernt von grobnaturalistischer Wirkung, verklärt dieser
rosige Schimmer das jugendliche Lächeln der Gesichter und verstärkt den
Ausdruck der Empfindung; die Farbe im Ganzen aber verdeckt gleichsam
die plastischen Mängel dieses Styles, indem sie ilnf der Malerei näher
stellt. Diese Polychromie gilt vorzugsweise für die plastischen Werke
des Innern. Wo aber das Innere gleichsam in's Aeussere hinausqtiillt,
und in bildnerisehenf Schmuck die Bedeutung des Ganzen sich aus-
sprechen soll, an den reichen Sculpturen der Portale, da ist häufig
dieselbe prachtvolle Polychromie durchgeführt, wie wir Aehnliches schon
in der vorigen Epoche zu Bourges fanden. Zu ihreni Schutze dienen
die angebauten Vorhallen, die ebenfalls jetzt glänzenden plastischen
Schmuck erhalten.