Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

Zweites Kapitel. 
Die 
mtinisuh- 
womanischc klpoclme. 
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an den Arehivolten die zwölf grossen Propheten, welche auf Medaillons 
die Brustbildei- der Apostel halten. 
Das Westportal, eben so reich wie das nördliche, zeigt an den 
Pilastern links in sechs Scenen unter doppelten Bögen die Werke der 
Barmherzigkeit, rechts in Weinranken sinnig vertheilt die Parabel von 
den Arbcitein im Weinberge. Sind hier die Tugendlehren des Christen- 
thums in (leutlicher Beziehung auf das praktische Leben eindringlich 
irorgeführt, so schildert das Tympanon das Weltgericht, wo über Be- 
folgung oder Vernachlässigung dieser Gebote das Urtheil gesprochen wird. 
Im Bogenfelde thront Christus feierlich und ernst, beide Arme mit auf- 
gehobenen Händen ausgebreitet. Ihn umgeben Engel mit den Leidens- 
Werkzeugen, und an der Archiirolte in Ranken die zwölf Apostel; oben 
zwei Engel, die mit den Posaunen zum jüngsten Gerichte rufen, während 
am 'I'hürsturz zwei andere sie unterstützen und eine Anzahl Begrabener 
sich aus den Särgen erhebt. - 
Einfacher in der Anlage ist das Südportal, aber um so verwickel- 
ter in dem mystischen Inhalt seiner Bildwcrke. Am Tlhürsturz sind 
Christus, Johannes und das Lamm Gottes in Medaillons angebracht; das 
Bogenfeld aber enthält die Darstellung eines Baumes mit Früchten, auf 
welchen ein Mensch geflüchtet ist, denn unten steht ein Drache, der 
Feuer hinauf speit, während zwei Thiere (Wölfe?) die Wurzeln des 
Baumes benagen. Sonne und Mond jagen auf ihren Gespannen von 
Bossen und Stieren wie zur Hülfe heran, sind aber oberhalb nochmals in 
IIalbiiguren angebracht. Zwei kleine Figuren mit grossen Hirtenhörnern 
stehen unten, und zwei ähnliche sieht man oben fliegen. Wenn nicht 
Alles täuscht, so liegen hier Einflüsse der altnordisehen Mythologie, A11- 
klänge an den Weltbaum Yggdrasil imd den Drachen Nidhöggr vor, wie 
denn überhaupt das scholastisch Gedankenhafte solcher symbolischen 
Bildcrkreise mehr dem Norden als dem Süden angehört. Bekräftigung 
erhält die Annahme, dass selbst noch zu Anfang des dreizehnten Jahr- 
hunderts italienische Künstler die Anschauungen und den Styl ihrer 
Werke dem Norden cntlelinten, durch die gleichzeitigen Wandgemälde 
im Innern des Baptisteriums, welche gegenüber der byzantinisirenden 
Malerei des damaligen Italiens sich auf's Entschiedenste den deutschen 
Werken anschliessen. Endlich sind an demselben Baptisterium die 
Reliefs zu nennen, welche in einer Reihe von Medaillons den ganzen Bau 
umgeben. Sie enthalten verschiedene Thiere, Gans, Hahn, Ente, 
Skorpion, aher auch Phantastisches, wie Kentauren und vieles Andere, 
in einer merkwürdig freien lebensvollen Naturauffassung. Im Innern zeigt 
der Marnioraltar die Reliefdarstellung Johannes des 'l'aufers, eines Priesters
	        
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