Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

Zweites Kapitel. 
Dic byzantinisch- 
-romaniscl1e Epoche. 
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lung" der lulastischen Zicrden eine Entfaltung, die freilich, wie wir ge- 
sehen, vor einzelnen Rückfällen, z. B. in den historiirten Kapitalen zu 
Bourges, nicht sicher war. Aber der neue Geist harrte schon vor der 
Thüre auf den geeigneten Moment, um auch die Plastik mit einem bis 
dahin tnigeahnten Leben zu durchdringen. 
Gegen den plastischen Reichtlmln der südlitzhen, westlichen und mitt- 
leren Provinzen steht der Norden, namentlich die Normandie, erheblich 
zurück. So energisch die bauliche Thiitigkeit dort gepiiegt wird, so herb 
und fast trocken bleibt der Charakter der Bauwerke, und selbst in der 
Spatzeit des Jahrhunderts  man zu rciohcrer Ausschmückung lieber 
ein Spiel mit geometrischen lilustern, als mit den Gestalten des organi- 
schen Lebens anwenden. Doch kommen bisweilen an Säulenkapitalen 
iigürlichc Darstellungen vor, die wie am Iclauptportale der Abteikirche 
S. Georges zu Bocherville in abenteuerlichstei- Weise barock-phan- 
tastische Auflassung in die heiligen Gestalten hineintragen. Sie sind darin 
am meisten den gleichzeitigen Gebilden der französischen Schweiz zu ver- 
gleichen, obwohl auch in Burgund und den westlichen Provinzen bisweilen 
ein solch unheimlicher heiliger Spuk getrieben wird. Diese Erscheinung 
ist wohl daraus zu erklären, dass die nordische Phantastik, genährt an 
uralten Sagenstoifen, seit Jahrhunderten durch das Christenthum zurück- 
gedrängt, jetzt gewaltsam hervorbricht und sich zuerst in oft abschrecken- 
der Weise ausspricht. Es war die wilde Gährung, durch welche ein edler 
Gefühlsinhalt sich allmählich lautcrte.  
Endlich ist das einzige Denkmal des französischen Metallgusses 
dieser Zeit in der Normandie, und zwar in der Kirche zu St. Evroult 
erhalten: ein bleiernes Taufbecken, in sehwerfallig rohem Style mit den 
Gestalten der Evangelisten, der zwölf Monate und ihrer Beschäftigungen 
bedeckt.  
Nürdlichv 
Provinzen. 
Metallguss. 
England kommt in dieser Epoche für die Geschichte der Plastik 
kaum in Betracht. Die Arcvhitektur verhielt sich dort ebenso spröde ableh- 
nend gegen bildnerischen Schmuck, wie in der Normandie, woher sie ihre 
Grundzüge mit herübergebraeht hatte. Höchstens werden die Konsolen der 
Gesimse zu Thiergcstalten, Köpfen und phantastischen Figuren in einem 
schweren, harten Styl ausgebeutet, oder das Bogenfeld des Portales wird 
mit der ansprnchslosen Darstellung des Nationalheiligen S. Georg ge- 
schmückt. Dieser Mangel an aller Uebung rächte sich dann, wenn man, 
wie es an Taufsteinen öfter verlangt wurde, dennoch Gebrauch von der 
Plastik machen wollte. Sämmtliche Werke dieser Art sind von elephanten- 
artiger Plumpheit in der Gesammtform, und die Reliefs, welche die Seiten 
bedecken, zeigen eine barbarische Rohheit, welche noch keine Ahnung 
Lübke, Gesell. der Plastik. 21 
England.
	        
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