Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

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Drittes Buch. 
Andere 
Werke dieser 
Schule. 
Aus derselben Richtung ist der plastische Schmuck am südlichen 
Portal der Faeade von Notre Dame zu Paris hervorgegangen", mag der- 
selbe bei dem 1163 begonnenen Neubau bereits entstanden, was mir 
wahrscheinlicher dünkt, oder von einem anderen Baue dahin übertragen 
sein. In einem gedrückten Spitzbogenfelde, welches später den beiden 
anderen Portalen zu Liebe überhöht worden ist, thront die von längeln, 
einem König und einem Bischof verehrte liladonna. Die Gestalten haben 
ganz den herben, peinlich detaillireinlc-ii Styl der Facadensculpturen von 
Chartres. Darunter sieht man in kleinen strengroniaiiisehcn Reliefs die 
Verkündigung, Heimsuchung, Geburt Christi und Anbetung der Könige. 
Der Styl aller dieser Werke ist so übereinstimmend, dass er nur als 
Ergcbniss derselben Schule betrachtet werden kann. Von dem Auf- 
sehwunge und dem bedeutenden Einiiuss dieser Schule giebt aber eine 
Reihe anderer völlig verwandter Werke eine lebendige Anschauung. 
Hierher gehören vor allen die Seulpturen an der Kathedrale zu Angers, 
welche die westliche Grenze dieses Styles zu bezeichnen scheinen; feiner 
diejenigen an den Kirchen zu St. Loup und zu Rampillon südöstlich 
von Paris, endlich mehrere Statuen vom Portal der ehemaligen Abteikirche 
Corbie, jetzt in der Krypta zu St. Denis, welche etwa die ausserste 
nordöstliche Grenze der Verbreitung dieser Schule bezeichnen mögen. 
Wir sehen denselben also in bedeutender Ausdehnung gerade in (lenjcni- 
gen Gegenden zur Alleinherrschaft gelangt, welche zugleich die Träger 
einer neuen Entwicklung der Architektur werden sollten. Aber während 
diese in rastlosem Fortschritt in Wenigen Decennicn alle Grundzüge des 
gothisehen Bausystems ausgeprägt hatte, verharrte die Plastik etwa von 
ll-lO bis gegen Ende des Jahrhunderts hier bei demselben starren seltsa- 
men Styl. Man wird diese Thatsache, die mit der rastlosen geistigen Be- 
wegung der Zeit so auffallend zu eontrastiren scheint, aus demselben 
Grunde erklaren müssen, der zugleich das lange Festhalten an der roma- 
nichen Ornamentik veranlasste. Die damaligen Meister, Architekten und 
Plastiker in einer Person, waren so ausschliesslieh erfüllt von dem Drange 
nach einer neuen constructiven Entfaltung, nach einer durchgreifenden 
Umgestaltung des gesammten architektonischen Werkes, dass sie für alle 
bloss dekorativen Elemente sich lange Zeit mit den hergebrachten Formen 
begnügten. Der Augenblick war noch nicht gekommen, wo die neue 
Architektin, nach Feststellung des Ganzen, zu einer Generalrevision aller 
einzelnen Theile schritt und diese, darunter vorzüglich die Portale, den 
gesteigerten Bedürfnissen entsprechend umgestaltete. Bis dahin suchte 
man nur das überlieferte romanische Gerüst des Portalbaues reicher zu 
entwickeln und in möglichst umfassender und möglichst klarer Verthei-
	        
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