Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

Zweites Kap 
Die byzantinisch- 
-romanische Epoche. 
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für die Körperbildung, kaum eine Ahnung der wirklichen Verhältnisse 
vorschwcbte. Darüber im Bogenfeltle streng und feierlich der thronende 
Christus mit den vier grossen Evangelistensymbolen, die wieder vmnder- 
lich heftig sich geberden. Auch das ist ein stehender Zug in der Plastik 
der Zeit, welche in ihrer naiven Weise durch lebhafte Bewegungen die 
göttliche Inspiration der Evangelisten anzudeuten wünschte. Endlich sind 
sätmmtliche vier Archivolten, welche das Tympanon umrahmen, mit Bild- 
werken bedeckt: an der inneren bilden Engel, Weihrauchgefasse schwin- 
gend, einen feierlichen Kreis um die Gestalt des Erlösers; an den folgen- 
den ist die ganze Lebensgeschichte Christi in klaren einfachen Reliefs 
naiv und nicht ohne Leben erzählt. Die ganze Anordnung bildet einen 
bedeutenden Fortschritt gegen jene von Chartres.  
Noch glänzender entwickelt, bei ganz verwandter Anlage, ist das 
Portal am südlichen Seitcnschiti" der Kathedrale von Bourges, wohl 
dem Schlüsse des zwölften Jahrhunderts angehörend. Die üppigste 
romanische Ornamentik ist über alle Theile ausgegossen. An den Seiten- 
wänden sind wieder sechs Statuen von Heiligen und fürstlichen Personen, 
in demselben starren, tmentwicläeltcn Style angebracht. Wir sehen daraus, 
wie viel man sich auf diese neue Erfindung zu Gute that und wie lebhaft 
man die eigenthümliehe, mehr architektonische als plastische Schönheit 
zu schätzen wusste. An den Kapitalen der unsäglich reich behandelten 
Sätulcheix sind wieder kleine Relicfscenen, die in lebendigem, aber noch 
durchaus romanischem Styl den Sündenfall, die Vertreibimg aus dem Pa- 
radiese, und eine Reihe anderer Momente aus der heiligen Geschichte 
schildern. Am 'I'hürsturz sieht man die steifen, kmzen Gestalten der 
Apostel, ganz wie in le Mans, darüber im Tympanon ebenso wie dort 
Christus mit den Evangelistensymbolen, an den Archivolten verehrende 
Engel und Heilige in kleinen Figürehen, so dass am ganzen Portal kein 
Fleckchen unverziert ist. (Der scgnende Christus am Mittelpfeiler wurde 
erst später hinzugefügt.) Alle Theile dieses prachtvollen Portales haben 
noch die alte reiche Bemalung.  Etwas einfacher ist das Portal des 
nördlichen Seitenschitfes, das bei völlig gleicher Anlage mehr architek- 
tonische Dekoration in elegantem spatromanischem Style, dagegen weniger 
selbständige Plastik zeigt. Im Bogenfelde thront die Madonna in steifer 
Haltung, aber doch nicht ohne stille Anmuth, von schwebenden Engeln 
verehrt. An den Wänden sieht man jcderseits nur eine Statue in demsel- 
ben starren alterthümliehen Style. Beide Portale, sowie jenes von le Mans, 
sind durch vorgebaute Vorhallen geschützt, eine Anlage, die sich auch in 
der folgenden Epoche erhielt und später zu überschwenglicher Anwen- 
dung der Plastik veranlassen sollte. 
Bourgcs.
	        
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