Zweites Kapitel.
Die
byzantinisch-
momanische Epoche.
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lichenft) Neben einer ganzen Folge von historischen Darstellungen, Abra-
ham, Melchisedeeh, Christus, den Marien am Grabe u. A., sieht man allerlei
phantastische Gestalten, wie die Sirene, die Ohimaera, die soga1' durch
Inschrift dem ungelehrten Beschauer bezeichnet wird, ferner Vögel, Dra-
chen, Greifen und andere monströse Bildungen. Die übersehwängliche
Lust an solchen Schöpfungen eontrastirt wunderlich mit dem überaus
mangelhaften Formensinn. Diese reiche Dekoration findet sich jedoch
nur an den unteren Theilen; alles Obere, die Geavölbdienste und Triforien,
zeigt an den Kapitltlen das conventionell wiederkehrende frühgothische
Blattschema.
Höchst ausgezeichnet ist endlich die plastische Schule, welche sich
in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in den mittleren Provinzen, im
Herzen Frankreichs entwickelt. Sie hängt zusammen mit dem neuen. Auf-
sclnvunge, den die Architektur dort gleichzeitig nimmt, und aus Welchem
in kurzer Frist die gliinzendste Schöpfung des Mittelalters, der gothische
Styl, hcrxforgclicii sollte. Die architektonische Itichtung ist hier von so
überwiegender Energie, dass auch die Plastik mehr als sonstwo sich dem
herrsehemlcn Gesetze der Architektur tügen muss, ja geradezu die Sclavin
ihrer gcstrcngen Herrin wird. Und doch sollte gerade aus dieser tiefen
Unterordnung in kurzer Zeit die Befreiung und Neubelebung der Bildnerei
herxrorgehenl Eins der wichtigsten Beispiele dieser Richtung sind die
Sculpturcn an der Fagarle der Kathedrale von Chartres. Hier sieht man
zum ersten Male an den drei verbundenen Portalen jenes grossartige
System einer vollständigen plastischen Aussehmücltnng, welches naehmals
den Portalen des frühgothischen Styles eine unvergleichliche Pracht ver-
leihen sollte. Aber man bemerkt auch, wie die Bildhauer noch mit den
völlig verschiedenen Ginndbetlingungen des romanischen Styls zu kämpfen
haben. Das Bogenfeld des Portales bot den einzigen genügenden Platz
und es wurde (lcnn auch in hcrkömmlichei- Weise mit der Darstellung des
thronenden Christus ausgefüllt, der hager und steif zwischen den vier
hastig bewegten EvangelistenSymbolen erscheint. Darunter in vier Ab-
theilnngen die vier Apostel, ebenfalls in hergebrachter Auffassung nnd
etwa in der zierlichen und sorgfältigen Behandlung, wie sie in den pro-
venczllischen Sculpturen uns entgegen trat. Die ganze Fülle von histo-
rischen Darstellungen, die bei jenen südlichen Bauten so glücklich über
die Arehitrave ausgebreitet ist, wussten die Künstler hier nur an den Ka-
pitälen anzubringen, die wie ein breites Band sich über die Säulen und
Pfeiler gleichmassig fortziehen. Hier sieht man in kleinen plumpen
Werke im
mittlern
Frankreich.
Chartres.
k) Abbild.
bei BIIIIJÄQINLC,
Hist.
de Yarchit.
sacräe etc.
Atlas Taf. 65