Zweites Kapitel.
-romanische Epoche.
Die byzantinisch-
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wichtigsten Vorgänge aus dem alten und dem neuen Testamente, sondern
auch zwischen phantastischen Ungeheuern verschiedene Martyrerlegenden
dargestellt; an den Pfeilern die lebensgrosscn, streng aber sorgfältig in
weissem Marmor durchgeführten Reliefbilder von Heiligen. Ausserdem in
der Vorhalle des Hauptportals friesartig angeordnete Sceneil aus der
Jugendgeschichte Christi, darunter die vier Kardinaltugenden auf der
einen, und die beiden Todsünden Geiz und Wollust auf der andern Seite,
dazu nachdrückliche Schilderungen der Sündenstrafen und der Hüllen-
qualen. Sodann an den Portalpfosten die Apostelfürsten Petrus und Paulus
und zwei Propheten dicht neben mehreren aufrecht einherschreitenden
Löivinnen. Alle diese Werke zeugen von grosser Frische und energischer
Lebendigkeit. Geringer und roher ist im Tympanon der thronende Christus
inmitten der vier Evangelisten und der vierundzwanzig Aeltesten der
Apokalypse. Es scheint indess nicht nöthig, diesen Theil der Arbeit darum
für früher zu halten; vielmehr wiederholt sich dasselbe Verhaltniss an der
Facade von St. Gilles und in manchen andern Fallen, so dass es scheint,
als ob man zuweilen geringeres Gewicht auf solche typisch wiederkehrende
Darstellungen gelegt habe, (leren Ausführung man untergeordneten {landen
überliess, während die interessanteren und mannichfaltigercn historischen
Seenen den gesehickteren Künstlern vorbehalten blieben. Bemerkcnsivcrth
ist, dass in diesen westlichen Gegenden, wo der antike Einfluss zurück-
tritt, die Klarheit und Harmonie" der provencalischen Denkmiiler einem
phantastischer-eh, wilderen Wesen weichen muss. So namentlich an dem
Portal der Kirche zu Souillac und, mit grossartiger Auffassung verbun-
den, am Hauptportal der Abteikirche zu Oonques, welches eine der um-
fangreichsten Darstellungen des jüngsten Gerichts enthält. Diese Werke
geben indess zugleich weitere Belege dafür, dass in den verschiedenen
Schulen Frankreichs gleichzeitig mit bedeutendem Erfolge das Streben
hervortritt, für die tiefsinnigen symbolisch-historischen (ledankenkreise,
welche die Zeit bewegten, eine möglichst klare Anordnung in architek-
tonischem Rahmen zu gewinnen. Diese Gabe war, wie wir sahen, den
(leutschen Schulen bis hierher versagt und sollte erst durch französische
Anregung in der folgenden Epoche geweckt werden.
Je weiter nach Westen, desto überschwängliehcr wird der Geist
dieser Darstellungen. Zu den Hauptwerken zahlt in den Gegenden des
alten Aquitanien die Facade von Notre Dame zu Poitiers vom. Ende
des zwölften Jahrhimderts. Hier ist zwar durch grosse und kleine Ar-
kaden, die sich auf plumpen Säulen in mehreren Geschossen wiederholen,
eine übersichtliche architektonische Gliederung gegeben, aber alle Flächen
an Kapitalcn, Friesen, Archivolten sind mit einer solchen Fluth von
Souillac.
Conques.
Plastik im
Westen.
Poitiers.