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Drittes Buch.
Deutschland.
Relief der
Externsteine.
lässt sich in allem Einzelnen der Gewandung, des Affekts, der Körper-
iauffasstlng nachweisen. Alles das ruht noch auf antikem Grunde, aber
durchweg sind Veränderungen eingetreten, die den antiken Nachklang
stark übertönen. Die Körper sind gedrungeuer, resoluter, die Gewänder
theils einfacher, theils mit einem sichtlichen Streben nach Zierlichkeit und
neuen Motiven oft tlatternd bewegt und mit Details überladen, die Ge-
berden und Bewegungen athmen eine frische, naive Lebendigkeit. Das
Alles führt aber noch nicht zu einem höheren Adel der Auffassung, zu
einer reineren, bewusstvollen Durehbildung der Form. Viehnehr stehen
in dieser Hinsieht die Werke des 12. Jahrhunderts, wie gesagt, nicht selten
tiefer als die früheren. Dennoch ist der Fortschritt ein unverkennbaren
Halten wir Umschau über die Leistungen dieser Zeit, so werden wir
zwar immer noch Deutschland an der Spitze finden, aber auch die
übrigen Völker betheiligen sich fortan vielseitiger und (lurehgreifender
an der Entwicklung. Dem Anfange dieser Epoche gehört zunächst das
Relief der Externsteine bei Horn in Nilestfalent), eine merkwürdige
und grossartige Composition, die Kreuzabnahme enthaltend (Fig. 11.9).
Es ist an einer Felswand in der Nähe eines grottenartigen Heiligthtims
ausgehauen, dessen Einweihung im Jahre 1115 wahrscheinlich auch die
Entstehung des Bildwerlaes bezeichnet. Trotz arger Zerstörung wirkt es
noch immer ergreifend durch die eigenthümliche Energie der Auffassung.
Voll Empfindung ist ilamentlieh die Stellung der Maria, welche das herab-
sinkende Haupt ihres Sohnes mit den Händen stützt und ihr eigenes, jetzt
zerstörtes Gesicht voll Schmerz und Liebe dagegen lehnt. Sonne und
Mond sind in antikerCharakteristik in Merlaillons dargestellt; der Künstler
lässt sie durch Weinen ihr hlitgefühl lebhaft bezeugen. Die Haltung des
Johannes, der seine Theilnahme gleichfalls aussert, ist allerdings be-
fangen; aber seine Verbindung mit der Gruppe der Uebrigen zeugt von
einem entwickelten Sinn für Rhythmus und Gleichgewicht, wie denn in
dieser Hinsieht die Uomposition Bewunderung verdient. Nicht ganz klar
ist die Bedeutung der (iestalt, welche über dem Querbalken des Kreuzes
mit der Siegesfahne erscheint: vielleicht Gott Vater, der die Seele (ihristi
in Gestalt eines Kindes auf dem Arme tragt. Der tuitere Theil der Com-
position ist so arg zerstört, dass unsere Abbildung ihn fortgelassen hat.
Er scheint zwei menschliche Gestalten, von einem Drachen uun-ingelt, ent-
halten zu haben. Das waren also die von der Sünde umstriekteil Urältei-n
der Menschheit, welche durch Christi Kreuzestod erlöst werden.
M assm an u ,
der Externstein in Westfalen.