Zweites Kap
Die
byzantinisch-
momanische Epoche.
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geführt habe. Vielmehr sollte erst das dreizehnte Jahrhundert die reifen
Früchte dieses Aufselnvunges erndten. Man darf sogar behaupten, dass
die Plastik des 12. Jahrhunderts der des vorigen Zeitraums in Schönheit,
Würde, Gefühl für die körperliche Form und ihre naturgemässe Bewegung
keineswegs überlegen war. Vielfach fällt sie in Ungeschick und Starrheit,
_ja in ätusserste Bohheit und Barbarei zurück. Selbst der secleillose By-
zantinismus erobert sich noch einmal, wemi auch vorübergehend, gewissen
Einfluss. Dennoch ist der Gewinn, den die Plastik aus ihrer neuen Stellung
(lavonträigt, nicht gering anzuschlagen. Vor Allem lernt sie sich gege-
benen Raumverhaltnissen ansehliessen und in gleichmässiger Gomposition
sich architektonischen Gesetzen fügen. Wie wenig sie das in der vorigen
Epoche vermochte, zeigten uns die im Einzelnen oft trefflich ausgeführten
Elfenbeintafeln, deren Reliefs in willkürlichster Weise über die gegebene
Fläche wie durch Zufall ausgcstreut waren. Wie mühevoll und vergeblich
man nach einem Gleichgewicht der Anordnung rang, erkannten wir an
den Thüren zu Hildesheim und zu Augsburg. Es war daher hohe Zeit für
die Plastik, dass sie in eine strenge architektonische Schule genommen
wurde, um darin ihr eigenes (iesetz wiederzufinden. Wie schwer es ihr
auch jetzt oft wurde, alle Schätze (lunkler Symbolik, mit der sie sich be-
laden hatte, mit dem klaren lthythnnis eines Bauwerkes in Einklang zu
bringen, das zeigen manche Portale und Faeaden, die in demselben Maasse
den künstlerischen Sinn abstossen, als sie den Mystiker in Eiltzücken ver-
setzen; das beweist auch die noch oft wiederholte Unart, die Kapitale der
Säulen mit ganzen geschichtlichen oder symbolischen Seenen zu überladen.
Man erkennt darin den Drang einer tief erregten Kunst, Alles auf einmal
zu sagen und ja Nichts von allen anvertrauten Geheimnissen zurückzu-
halten. Erst in der folgenden Epoche sollte auch für diese überströ-
mende Fülle architektonisch und plastisch Rath geschaffen werden.
Aber noch ein anderer Vortheil erwuehs der Bildnerei. Da sie mit
einer Architektur zusammenwirken musste, die sich von der Antike mm-
mehr befreit und für jedes Glied ihres Körpers eine neue, (lurchaus eigen-
artige und charaktervolle Form geschaffen hatte, so wäre eine in bishe-
riger Weise antikisirende Plastik damit unvereinbar gewesen. Innere wie
aussere Nothwendigkeit trieben also zu einer dem baulichen Organismus
parallel laufenden Umgestaltung der Bildnerei hin. So kommt es, dass
die Gestalten derselben zwar auch fernerhin einen antikisirenden Anklang
behalten, aber doch in der Empfindung wie im Einzelnen der Form sich
der 'l'radition freier gegenüberstellen. Es ist jetzt erst vollständig ein
neuer Geist, der in sich regt und jene Umpräig'ung' bewirkt,
die wir im vollen Sinne des Wortes romaniseli nennen. Der Unterschied
Wandlung
der
Plastik.