Volltext: Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart

Zweites Kap 
Die byzantinisch- 
momanische Epoche. 
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Hildesheim ist einer der ersten unter den damaligen Pralaten Deutsch- 
lands, deren gelehrte und künstlerische Bildung thatigen Antheil an der 
Entwicklung der Plastik Wie der Architektur gewinnt. Für den von ihm 
neuerbauten Dom liess er eine grosse eherne Thür gicssen, welche 1015 
vollendet wurde und noch jetzt den Haupteingang der Kirche schmückt. 
Sie giebt auf sechzehn viereckigen, in zwei Reihen angeordneten Feldern 
auf der einen Seite die Momente der Schöpfungsgeschichte bis zu Kains 
Brudermord, auf der anderen vier Vorgänge aus der Jugendgeschichte 
und vier aus der Passion Christi. Bemerkensivertli ist zunächst, dass hier 
trotz der Nebenordnung der Seenen nicht an eine typologisehe Beziehung 
der zusammen geordneten Paare angeknüpft wird. In der Auffassung und 
Durchführung verfahrt der Künstler unter Zugrundelegung antiker An- 
schauungen völlig naiv. In dieser Hinsieht war es günstig, dass man für 
die Erzplastik keine byzantinischen Vorbilder besass, denn in Byzanz 
wurde bei solchen Werken statt. des Reliefs die Niellotechnik angewandt. 
Der Hildesheimer Meister stellt mit wenigen Iiliguren, aber in lebhaften 
Motiven den Vorgang deutlich hin. Seine Gestalten bewegen sich in an- 
tikem Kostüm, sie sind ohne Verständniss der Form, die Leiber dünn und 
lang, die Köpfe übergross, die Nasen plump, die Augen glotzend, so dass 
ein seltsam barbarisehes Missverhaltniss entsteht. Dabei haben die Ge- 
sichter durchaus einen alten, hässlichen, stumpfen 'I"ypus, dem jedoch mit 
der grämliehen Greisenhaftigkeit byzantiniseher Gestalten Nichts gemein 
ist. Hat man dies abstossende Gepräge erst überwunden, so wird man 
belohnt durch eine Reihe lebendig empfundener Züge, die von frischer Le- 
bensauHassung zeugen. Die verschiedenen Abstufungen von ganz ruhiger 
Haltung bis zu leidenschaftlicher Bewegung sind mit Glück dargestellt, 
obwohl die imgefügen Körper dem Gebote der Seele nur mühsam gehor- 
chen. Naive, geradezu der Wirklichkeit entlehnte Zügc sind die Eva, 
welche ruhig (iasitzend ihr Kind stillt, während Adam den Acker bear- 
beitet; ferner bei der Vertreibung aus dem Paradiese die Geberde, mit 
der sich Eva neugierig umwendet; sodann bei der Ermordung Abels das 
gewaltsame Niederstürzen des Phschlagenen, während einerseits Kain wie- 
der zum Schlage ausholt und andererseits der Mörder noch einmal darge- 
stellt ist, wie er erschreckt vor der aus Wolken herabreichenden Hand 
Gottes zusammenfährt. Die Anordnung der Figuren im Raume ist ungleich 
und bei etwas dürftiger Composition ungenügend, so dass man deutlich 
den Mangel an Uebung und die Rathlosigkeit einer noch jungen Kunst 
erkennt. Die Figuren sind stark erhaben gearbeitet, wie sie auch auf 
gleizeitigen in lvietall getriebenen Werken vorkommen; besonders merk- 
würdig aber erscheint es, dass der Oberleib sammt dem Kopfe meigtens 
19' 
Thiir zu 
Hildesheim.
	        
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