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Dritttes Buch.
kaden sind in Medaillons die vier Kardinaltugenden als weibliche Brust-
bilder dargestellt, und die übrigen Flächen, die Ränder und Gesimse mit
zierliehem Rankenwerk und allerlei kleinen Thiergestalten prächtig ans-
gefüllt. Der Styl der Figuren an diesem glänzenden Werke steht allerdings
nicht in Ilebereinstimmung mit der Lebendigkeit und Frische der Elfen-
beinarbeiten, was vielleicht als eine Folge der unbehülfliellereii Technik
zu betrachten. Andere Werke kleineren Umfanges halten die volle Strenge
der byzantinischen Auffassung fest.
S0 sieht man im Schatze der Stiftskirche zu Essen ein Kruzifix ans
Goldbleeh, welches gegen Ende des zehnten Jahrhunderts von der Aeb-
tissin Mathildis (T 997) gestiftet wurde. Die Hagerkeit des Leibes Christi
und der herbe Ausdruck erinnern an byzantinische Kunst. Noch mehr ist
dies (ler Fall bei einem Kruzilix äthnlieher Art, das sich ebcndert als Ge-
schenk derselben Aebtissin befindet. Etwas jünger ist daselbst ein noch
reicher ausgetiihrtes Kruzifix ähnlicher Art, um 1054 von der oben
erwähnten Aebtissin "llheophano gestiftet. Ebenso unverkennbar ist der
byzantinische Einfluss an einer sitzenden Statue der Madonna in demselben
Sehatze, deren strenge Gesichtszüge durch die eniaillirtexi Augapfel noch
starrer werden.
Neben diesen Praehtarbeiten gewinnt nun auch seit dem Beginn des
elften Jahrhunderts der Erzguss eine um so grössere Bedeutung, als er
den Uebergang zu umfassenderer monumentaler Anwendung der Plastik
bildet. Auch hierin sind es wieder die Deutschen, welche vorangehen und
in diesen wie in anderen Zweigen der Kunstübung weithin berühmt wer-
den. Theophilus lebt in seiner Schrift "de artium schedula" Deutschland
als heeherfahren in der Geldschmiedekulist wie im Efzguss. In England
kannte und sehätzte man im elften Jahrhundert die nach (leutseher Weise
("opere Teutoxiieo") hergestellten llletallarbeiten. In der Abteikirehe zu
Corvey linden wir schon um 990 sechs cherne Säulen, die der Bischof
von Verden gestiftet hatte, und zu welchen ein im Kloster befindlicher
Künstler Gottfried noch antlere sechs arbeitete.
Dieselbe Gegend des alten Sachsenlandes ist es nun, die zu Anfang
des 11. Jahrhunderts unter einem launstsinnigen Kirchenüirsten eine wei-
tere Entwickelung des Erzgusses hervorbringt. Bischof Bcrnrvurd zu
schieden das 11. Jahrhundert, für welches ja auch die Tradition geltend gemacht
wird. Dagegen ist die gesuchte Zierlichkeit; und absichtsvolle Anordnung der Ge-
wänder, wie mich bedünken will, weit eher dem 12., als dem 11. Jahrhundert beizu-
messen. Das merkwürdige Monument bedarf immer noch einer gründlicheren Un-
fersuchung , als sie mir in Paris möglich war.