Zweites Kapitel.
Die byzantinisch-
momanische Epoche.
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stehen. Er wusste sich indess zu helfen und copirte nach einem antiken
Schnitzwerke einige prächtige Akanthusranken, deren offene Felder mehr-
mals durch einen Löwen ausgefüllt werden, welcher sich auf ein Rind
stürzt. Das Vorbild dieser Darstellung ist noch in der Bibliothek zu
St. Gallen vorhanden und lasst erkennen, wie gelehrig und geschickt die
Hand des klösterlichen Künstlers in der Nachahmung gewesen ist. Dies
eine Beispiel giebt uns eine willkommene Andeutung über die Art, wie
damals überhaupt altere Vorbilder benutzt wurden.
Aus dem Anfange des elften Jahrhunderts datiren mehrere Pracht-
werke dieser Art, welche ebenfalls in der Form der Darstellung wie in "www5-
einer Reihe von Einzelzügen die Nachwirkung der antiken Kunst ver-
rathen. Eins der merkwürdigsten ist ein reich ausgeführter Buchdeckel
in der Bibliothek zu lllünehenü), zu einem Evangeliarum gehörig, {äläujfälxilflllff
welches um 1012 Heinrich II. dem von ihm erbauten Dome zu Bamberg
schenkte. Den Mittelpunkt nimmt die Darstellung des Kreuzestodes
Christi ein; weiter unterhalb sieht man den Engel vor dem geöffneten
Grabe Christi sitzen, welchem die frommen Frauen sich nahen; darunter
endlich in einigen naiven Scenen die Auferstehung der Todten. Zwischen
diesen christlichen Darstelhmgen breiten sich in den unteren Ecken wieder
die Gestalten von Tellus und Oceanus aus, während die oberen Ecken
durch kleine Medaillons ausgefüllt werden, in welchen S01 und Luna
auf ihren Viergespannen erscheinen. Zwischen ihnen reicht die Hand
Gottes aus Wolken herab. Das Ganze wird von einem prachtvollen
Akanthusornament umrahmt. Derselbe Gegenstand, die Erlösung des
Mensehengesehleehtes durch Christi Opfertod, bildet in mancherlei Va-
riationen den Inhalt einer Anzahl gleichzeitiger Werke. Dahiii gehört
eine zweite von demselben Kaiser nach Bamberg geschenkte, jetzt eben-
falls in der Bibliothek zu München bewahrte Elfenbeintafel, die in ge-
ringerer Ausführlichkeit, aber mit grösserer Lebensfülle die Kreuzigung
und" die Auferstehung enthält. Die Bewegungen der Gestalten sind spre-
chend, selbst leidenschaftlich, namentlich die Trauer der Maria und des
Johannes voll lnnigkeit, das Dankgefühl der Auferstehenden bricht fast
stürmisch hervor, die ganze Durchführung ist kunstvoller und feiner als an
jenem grösseren Werke. Wieder begegnen wir diesem Darstellungskreise
an dem Elfenbcindecläel eines Evangeliariums vom J ahrc 1051, das aus der
Andreaskirche zu Freising in die Bibliothek von München gekommen.
Ein anderes ebendaselbst befindliches Sehnitzwverk, am Evangeliarium des
in den Mälanges (Varchöol.
Paris 1851.