Zweites Kap
Die byzantinisch-
-romanische Epoche.
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schärfer und individueller, aufzunehmen und zu einer neuen, höheren Lö-
sung zu führen. Wohl mag man darum das hohe Glück der griechischen
Kunst preisen, die einfach auf dem Boden der Natur aufgewachsen, eine
Vlfeltanschairung verherrliehte, welche deirGegensartz von Natur und Geist
nicht kannte. Daher ist in den vollendeten Werken der griechischen
Plastik Alles rein, harmonisch, ohne dass ein Bruch zurüekbliebe. Kann
die christliche Kunst es zu einer ähnlichen Vollendung nicht bringen, so
liegt der Grrmd eben darin, dass sie ihre Aufgabe ungleich weiter und
höher stellt. Sie vermag ihrem Ziele nur von fern sich zu nähern und
wird es nie erreichen, weil für sie einmal unlösbar jener Dualismus be-
steht, dcr höchstens im Glauben, nicht im Schaffen sich völlig versöhnen
lässt. Aber gerade durch den Ausdruck dieses tiefen leidenschaftlichen
RlHgGllS erhält die christliche Kunst in ihrer Gesammtentwicklung einen
Zug, der unsere Sympathie vielleicht inniger gefangen nimmt, als die
vollendete Schönheit es vermochte. Bei der Plastik steigert sich das In-
teresse in (lemselbeil Maasse, als sie unter der christlichen Anschauung
weit hinter der Malerei zurückstellen muss.
Das
zehnte
und
elfte
Jahrhundert.
Der Malerei bleiben im romanischen Style vor der Hand alle grossen
Aufgaben ausschliesslich reserrirt. Sie schmückt mit Mosaiken oder mit
Fresken die geheiligten Räume des Gotteshauses; sie hat die Freude, in
gewaltigem Maassstabe die Gestalten Christi, der Apostel und Heiligen, die
Vorgänge des alten und neuen Testamentes, die Legenden der Märtyrer
an den Wänden ausbreiten zu dürfen. Es ist kein geringer Kreis von
Darstellungen, in welchem sie sieh bewegen kann. Denn das (lhristenthum
bietet zum Ersatze für den verlernen nationalen Inhalt der Kunst eine
Fülle von religiösen Stoffen, die sieh fortwährend vermehrt und durch die
Legenden einer unabsehbaren Sehaar von Lokalheiligen stets neuen An-
lass zu Schilderung gewahrt. Die Architektur der romani-
schen Epoche ist aber bei ihren grossen ruhigen Flachen der Malerei be-
sonders günstig, während sie der Plastik Anfangs fast gar keinen Spielraum
bietet. Denn selbst die rein ornamentale Seulptur ist noch bis in das
'11. Jahrhundert in vielen Gegenden äusserst schwach und getraut sich
kaum einige schüchterne Linien zu versuchen. Daher erklären sieh die
vielen Pfeilerbasilikcn, daher die ungescliiiiiiekttai Würfelkapitäle in den
Süulenbzuiten, (lahei- die höchst einfachen Portale, die Anfangs, wie z. B.
die westliche l-Iauptpforte des Doms zu Würzburg und so manche andere
noch ohne allen Schmuck sind. Die Plastik bleibt deshalb während der
Vorwiegcn
der lßlalvrei.